Für die Lehrerin Felicitas Marquez hingegen ist der Politiker der linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) eine Art Messias: "Dank ihm und seinen Sozialprogrammen haben viele alte Leute heute zu essen", erläutert die 42-Jährige, die zuletzt für Vicente Fox von der konservativen Partei (PAN) gestimmt hat, aber nun bitter enttäuscht von ihm ist. Zum ersten Mal diskutieren die Mexikaner so offen und kontrovers über einen Wahlkampf. 71 Jahre lang hatte die Partei der Institutionellen Revolution (PRI) regiert. Erst Fox'Wahlsieg vor sechs Jahren hatte der "perfekten Diktatur"- wie der peruanische Schriftsteller Vargas Llosa das System genannt hatte - ein Ende bereitet. Umfragen zufolge liegt der PRI-Kandidat Roberto Madrazo abgeschlagen auf dem dritten Platz. Das Rennen um die Präsidentschaft wird zwischen López Obrador - im Volksmund Amlo genannt - und Felipe Calderón von der PAN ausgemacht. Amlo, der aus einfachen Verhältnissen stammt, zielt mit seinem Slogan "Zuerst die Armen"und mit Versprechen von billigeren Benzin- und Strompreisen und mehr Sozialhilfe auf die große Masse der benachteiligten Mexikaner, die wenig von der Globalisierung und Handelsöffnung profitierten.
Angst vor Chávez
Bekannt wurde der 53-Jährige mit einer von der Stadt garantierten Mindestrente. Den USA bereitet der smarte aber leicht reizbare und autoritäre Vollblutpolitiker wegen seiner Kritik am Freihandelsvertrag Nafta Kopfzerbrechen. Sie fürchten, dass Mexiko unter Amlo in den Einflussbereich des linkspopulistischen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez fallen könnte. Sehr viel lieber wäre Washington daher Calderón, ein 43-jähriger, liberaler in den USA ausgebildeter Jurist und Ökonom, der den Freihandel fördern will und dessen größtes Faustpfand das von Fox begonnene Sozialhilfeprogramm Oportunidades ist, das fünf Millionen armen Familien ein Zubrot garantiert. Calderón stellt Amlo als zweiten Chávez und eine Gefahr für die Stabilität des Landes dar.
Die Angstkampagne des wenig charismatischen Ex-Energieministers funktioniert auch bei der Unterschicht. Die fürchtet eine Verschlechterung der Beziehungen zu den USA und negative Auswirkungen für Mexikaner, die in den USA leben und jährlich 20 Milliarden Dollar an die Angehörigen überweisen.
Ein Szenario wie in Venezuela oder Bolivien schließen die meisten politischen Beobachter für Mexiko aber aus. "Die Verflechtung zwischen Mexiko und den USA ist viel zu stark, als dass hier sozialistische Experimente stattfinden werden. Allerhöchstens ein bisschen mehr Staatsdirigismus", sagt Sergio Aguayo.