STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl (l.) sprach mit Elisabeth Zanon (VP) und Rudolf Schicker (SP) über Gärten in der Stadt, Geld für die Gemeinden und Wege zur Verdichtung.

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STANDARD: Frau Zanon, was haben Sie an diesem Nachmittag gelernt?

Zanon: Dass Tirol anders ist.

Schicker: Ich dachte immer, Wien ist anders.

Zanon: Da sind wir uns Gott sei Dank so einig, weil wir so unterschiedlich sind – und das ist das Schöne an der Geschichte. Man kann nicht alles über einen Kamm scheren. Es braucht einfach unterschiedliche Maßnahmen, weil es andere Voraussetzungen gibt. Das gilt auch für die Raumordnung in Tirol und Bayern. Erstens: Bayern ist Alpenvorland und wir sind mitten in den Alpen. Zweitens sind wir ein Tourismusland. Und drittens haben wir Kleinstgemeinden in den letzten Wiesen unseres Landes, die wir nicht unbedingt sterben lassen wollen.

Einige Aspekte sind mir heute zu kurz gekommen. Etwa die Energiesparmaßnahmen, die man noch viel zwingender vorschreiben sollte. Oder das intergenerationelle Wohnen, damit ältere Menschen in ihrem sozialen Umfeld bleiben können. Dann gibt es das Problem der Schlafgemeinden – die Dörfer, aus denen die Leute anderswohin zum Arbeiten fahren müssen.

STANDARD: Herr Schicker, wie geht es dem ländlichen Raum in Wien? So etwas gibt es ja sogar in Wien.

Schicker: Ja, natürlich. Wir haben jede Menge Gärtner. Gemüsegärtner ...

STANDARD: Wie lang wird es die geben?

Schicker: So lange sie selbst wollen. Wir versuchen sie abzusichern, indem wir ihre Flächen in den Wiener Wald- und Wiesengürtel mit einbeziehen. Das erschwert zwar ein bisschen die "Fruchtfolge Bauland", das muss man sagen, aber sie haben mittlerweile gemerkt, dass es gescheiter ist, wenn sie ihre Flächen abgesichert haben und am Nachbargrundstück nicht unbedingt ein Geschoßwohnungsbau das Licht von den Glashäusern wegnimmt.

STANDARD: Die Ertragsanteile des Bundes werden nach der Einwohnerzahl der Gemeinden vergeben. Ist das nicht ein veraltetes Konzept, da ja mehr Einwohner eines Ortes auch mehr Landschaftsverbrauch bedeuten?

Zanon: Ich würde unbedingt an den Ertragsanteilen festhalten. Wir wissen ja alle, wie schwierig Finanzausgleichsverhandlungen sind und wie es dort zugeht. Man kann das Problem anders lösen, indem man regionale Planungsverbände schafft, um endlich dieses klassische Kirchturm-Denken zu erweitern.

Schicker: Es ist ja beim letzten Finanzausgleich der abgestufte Bevölkerungsschlüssel schon stark zurückgefahren worden. Wenn es gelingt, in jeder Gemeinde dieselbe medizinische Versorgung zu erreichen wie im AKH, dann bin ich dafür, dass wir ihn völlig abschaffen. Aber solange wir die Fremdpatienten in Wien mitfinanzieren mit Steuermitteln der Wiener ...

Zanon: Das ist bei uns das Gleiche.

Schicker: ... und der Innsbrucker, dann kann man von einem abgestuften Bevölkerungsschlüssel nicht abgehen, denn die Leistungen von Zentralstädten sind einfach höher.

STANDARD: Profitieren die Zentralstädte nicht auch?

Schicker: Es ist ein anderes Leben. Stadtluft macht frei – Stadtluft ist daher anders.

Zanon: Wir bemühen uns schon sehr lange den Verteilungsschlüssel zu verändern, aber dafür wäre bekanntlich Einstimmigkeit notwendig.

Schicker: Nachdem Wien seit vielen Jahren wieder wächst - vielleicht treffen wir uns da ...

STANDARD: Jetzt könnten wir über eine mögliche große Koalition im Herbst spekulieren. Ein anderer Themenkomplex ist die Verdichtung: Wie soll man das angehen?

Schicker: Wir haben in Wien 50 Prozent Grün- und Wasserflächen, und wir wollen das gerne halten. Aber allein durch die Erhöhung des Wohlstandes steigt der Bedarf nach Wohnraum, auch wenn die Bevölkerung gleichbleibt. Und alle Prognosen gehen davon aus, dass Wien stark wachsen wird. Das bedeutet, wir müssen Flächen für den Wohnbau finden. Dafür eignet sich am besten jenes Land, das schon einmal benutzt wurde – etwa große Eisenbahnanlagen oder alte Industriegebiete, die so genannten Brownfields. Und dann gibt es immer noch einige Stadtviertel in Wien mit dörflichem Charakter, vor allem jenseits der Donau. Dort mussten wir seit den Sechzigerjahren immer eine Spur dichter werden, bis der Moment kam, als wir gesagt haben: Es ist gescheiter, wir machen gleich eine Stadt. Das ist besser, als echtes Grünland zu verbauen.

Zanon: Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Es gibt auch beim Einfamilienhaus die Möglichkeit zu verdichten, wenn etwa Kinder am Elternhaus anbauen und dennoch einen getrennten Wohnraum haben. Das ist auch im Sinne des intergenerationellen Wohnens positiv. Wir sollten uns wirklich bemühen, den bereits verbauten Raum durch Umwidmungen zu benutzen. Das ist nicht immer leicht, aber wir können es von unseren Bürgermeistern mit Nachdruck einfordern. Natürlich macht man sich dabei nicht sehr beliebt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2006)