Nicht das Eigenheim auf der grünen Wiese, sondern die alten Stadtkerne sollten die "Zukunft des Wohnens" sein, fordern Experten.

Montage: derStandard.at
Der individuelle Wohntraum gefährdet das Grünland und erzeugt hohe Kosten für die Gesellschaft. Auf dem 25. STANDARD-Wohnsymposium in Innsbruck wurde daher der Ruf nach dichterem Wohnbau in Österreich laut.

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Vor einem Jahr erregte das Young European Architects Network (YEAN) mit seinem Projekt TirolCITY Aufsehen. In Buch und Film wurden das Inntal und seine Seitentäler als ein zusammenhängendes Großstadtgebilde dargestellt, das urbanes Leben ideal mit der Natur verbindet.

Doch wer sich im Umland von Innsbruck umschaut, sieht auch die Schattenseite dieser Vision: Kleinstädte ohne klare Ränder, tausende Einfamilienhäuser, die in der Landschaft verstreut sind, und eine ständige Verkehrsbelastung. Und je knapper das Bauland, desto höher die Kosten für neue Wohnungen.

Verdichteter Wohnbau als Lösugn

Für Raum- und Stadtplaner liegt die Lösung dieses Problems auf der Hand: der verdichtete Wohnbau, der die Natur schont, Kosten spart und die sozialen Gefüge der Bewohner stärkt. Nicht das Eigenheim auf der grünen Wiese, sondern die alten Stadtkerne mit ihrem unvergleichlichen Flair sollten die "Zukunft des Wohnens" sein, forderten unisono die Experten, die vergangene Woche auf dem 25. Wohnsymposium des STANDARD und der Fachzeitschrift "Wohnen Plus" zum Thema "Verdichtet oder zersiedelt: Leistbarer Wohnbau auf knappem Bauland in suburbanen Ballungsräumen" im ORF-Landesstudio in Innsbruck auftraten. Für den Speckgürtel rund um Innsbruck, Wien und anderswo sei ein anderer Zugang zum Wohnbau dringend gefragt.

Dieser Forderung steht die österreichische Kleinfamilie gegenüber, deren typischer Wohntraum aus vier geraden Hauswänden mit etwas Gras rundherum besteht. In einem solchen Heim glaubt sie ihre Privatsphäre und das Wohl ihrer Kinder am besten geschützt. Der Traum des Einzelnen wird jedoch zum Albtraum für die Gemeinschaft.

"Jeder weiß, dass der Boden eine nicht vermehrbare Ressource ist, und dennoch wird die Konsumation von Grund und Boden von Einzelinteressen getrieben und von der Politik kaum gebremst", warnte der Tiroler Architekt Helmut Reitter, der selbst ein "klares Bekenntnis zur Dichte" abgab. Ebenso taten dies der frühere Wiener Planungsdirektor Arnold Klotz, der Aufsichtsratschef der österreichischen Gemeinnützigen, Klaus Lugger, und der Bürgermeister der Innsbrucker Umlandgemeinde Mils, Peter Hanser.

Den ständigen "Landschaftsfraß" (Klotz) müsste die Politik unterbinden – und auf Papier tut sie das auch. In neun österreichischen Raumordnungsgesetzen ist das Ziel der bodensparenden Bauwei-se festgeschrieben.

Schwierige Wähler

Doch in der Praxis entscheiden über Umwidmung die Bürgermeister, die gerne die Wünsche ihrer Wähler berücksichtigen. So entstehen nicht nur in der Tiroler Landschaft ästhetisch anspruchslose Einfamilienhäuser, für die dann die Kommunen um viel Geld Straßenzugang, Kanalisation und andere Infrastruktur bereitstellen müssen.

Wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Klotz verwies auf das Beispiel Bayern, wo die Raumordnung zentral gesteuert und im Kampf gegen die Zersiedelung daher erfolgreicher ist. Auch die Tiroler Wohnbau-Landesrätin Elisabeth Zanon (VP) sprach sich für Druck auf die Bürgermeister aus – auch wenn dies politisch oft schwierig sei. Gefordert sei hier auch die Wohnbauförderung mit ihren strikten Auflagen.

Pilotprojekte

Auf dem Wohnsymposium wurde der Ruf nach Pilotprojekten laut, um die Kommunen von den Vorteilen des verdichteten Wohnbaus überzeugen könne. Bei den traditionellen Tischgesprächen wurde von den rund 80 Teilnehmern der Vorschlag eines Wettbewerbs zwischen den Gemeinden mit dem Titel "Liebe zum Zentrum" zum Sieger gewählt.

Dichte Siedlungen würden auch den wachsenden Bedarf nach Wohnraum eher befriedigen, auf den etwa der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker (SP) verwies. Denn mit dem Verschwinden des Grünlands in und rund um die Ballungszentren steigen auch die Bodenpreise und damit die Wohnkosten. Seine Parteifreundin, die Lienzer Vizebürgermeisterin Elisabeth Blanik warnte allerdings vor negativen Folgen der Verdichtung – der Ausdünnung anderer Gebiete und dem Bau von qualitativ minderwertigen Wohnsiedlungen. "Die Infrastruktur und die Verdichtung müssen zusammenpassen, doch sie tun es oft nicht", sagte sie.

Frühere Versäumnisse bei der Grundstückspolitik rächen sich in Form aktueller politischer Konflikte – wie man etwa in Salzburg sieht, wo der Wunsch von Bürgermeister Heinz Schaden nach Umwidmungen von Grünland auf massiven Widerstand einer Bürgerbewegung stößt.

Leistbares Bauland

Die Gemeinden hätten die Pflicht, für leistbares Wohnen zu sorgen, betonte Lugger und fügte hinzu: "Wenn eine Gemeinde es will, dann bringt sie leistbares Bauland zustande."

Der Schutz des Grünlands bleibt dennoch eine zentrale politische Aufgabe, die allerdings in Österreich oft zu kurz kommt. Denn die Raumordnung kennt nur Bauland, "und das Grünland ist der Rest", hatten führende Raum- und Landschaftsplaner auf demletzten österreichischen Planertag in St. Pölten kritisiert.

Für Klotz ist Vorarlberg ein Vorbild auf diesem Gebiet: Hier wurde vor Jahrzehnten übergeordnetes Grünland festgelegt das nicht umgewidmet werden kann. Dank der Arbeit junger Architekten seien auch die Vorarlberger Einfamilienhäuser attraktiver als in anderen Bundesländern.

Und auch Lugger will bei allem "Mut zur Dichte" im Zentrum auf Einfamilienhäuser nicht verzichten: "Wir müssen den Mix beibehalten, sonst haben wir wie in Frankreich entvölkerte Täler." (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.6.2006)