"Faust"

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bad-hersfelder- festspiele.de

Foto: Bad Hersfelder Festspiele/ Stefan Odry
Das hessische Freilichttheater in Bad Hersfeld wird ab heuer von der Österreicherin Elke Hesse erstmals verantwortlich geleitet. Eine "Grenzstadt" zeigt einen wunderbar gelungenen "Faust" – und eine abgedroschene "Dreigroschenoper".


"Großes Theater erleben!" ist allüberall als Logo in der Fußgängerzone geflaggt. Doch was heißt "großes Theater" anno '06 bei den traditionsreichen Bad Hersfelder Festspielen, die vor 55 Jahren vom Max- Reinhardt-Schüler Johannes Klein gegründet wurden? Klein bediente sich ausgiebig des Burgtheaters und dessen Stars wie Albin Skoda oder Paula Wessely. Erst 1961 hob man in der Stiftsruine erstmals das Applausverbot für das zur Ehrfurcht angehaltene Theaterpublikum auf.

In der Hersfelder Theatergeschichte mischten häufig Österreicher mit, und 2006 wäre die Stiftsruine ja beinahe zu einer Sommerbühne der Wiener Josefstadt geworden, wenn nicht Hans Gratzer in Wien diese Doppelintendanz verwehrt geblieben wäre. Die Direktionsgeschäfte wurden Elke Hesse übertragen. "Großes Theater erleben!" – das heißt für Hesse zunächst, allabendlich 1.650 Plätze im ehemaligen deutschen Zonenrandgebiet zu füllen, was wohl auch eine moderate Absage ans "Regietheater" bedeutet.

Zunächst der Flop: Mit seiner Aufgabe, die Dreigroschenoper zu inszenieren, war der Chansonnier Dominique Horwitz sichtlich überfordert. Die Spielfläche begrenzte er durch holzgetäfelte Wände und versteckte so die Ruine des Kirchenschiffs. Doch dadurch wurde Bad Hersfeld keine intime Kammerbühne.

"Tatort" einmal anders

Ungewöhnlich sicherlich die Besetzung von Mackie Messer mit Alexander Prahl. Der kleinwüchsige, depressiv- treuherzige Tatort-Kommissar Prahl (bekannt durch Adolf Dresens Film Die Polizistin) nun auf der Gegenseite: ein Gangsterboss im Hochzeitsfrack. Wenn dieser kleine Mackie zu seinen hoch gewachsenen Bräuten aufsehen muss oder sich krampfhaft bemüht, flott im Ensemble mitzusteppen, wird die kleinbürgerliche Herkunft des Ganovenhäuptlings rührend bemerkbar.

Aber nur in Nico Sandow, der als Polizeichef Brown manierierte Clownnummern mit Augenrollen abliefert, hat Prahl einen weiteren Interesse erweckenden Mitspieler. Das Ensemble sonst bietet konventionelles, etwas outriertes Stadttheater. Schuld daran ist in erster Linie die Verstärkeranlage, die die auf der weit entfernten Bühne herumfuchtelnden Darsteller überdeutlich laut und schrill vorführt. Vielleicht also doch wieder Applausverbot für einen faden Klassiker, der in Bad Hersfeld nichts mehr zu sagen zu haben scheint.

Doch was für ein Gegensatz dazu die Eröffnungspremiere mit Goethes Faust I: Mit atemberaubender Intensität ziehen Martin Reinke als Faust – ein experimentierender Intellektueller in der Lebenskrise – und Rufus Beck als schelmisch-intellektueller, manchmal gründgensnaher Mephisto – wendig wie ein Pudel – die Zuschauer in der kalten Sommernacht in den Bann.

Sie spielen mit höchstem Einsatz und gewinnen. Dazu ein unsentimentales Gretchen (Anna Franziska Srna). Im Gegensatz zur Dreigroschenoper erscheint Fausts Teufelspakt als durchaus aktueller Plot. Torsten Fischers nicht nur in der Personenführung sorgfältige Inszenierung benötigt kein Bühnenbild, sie macht mit klugen Strichen die Ruine zum Bühnenort, fast wie wenn Faust eigens für Hersfeld geschrieben wäre.

Angenehm unauffällig die Bühnenmusik Konstantin Weckers. Doch ein Bewegungschor dynamisiert effektvoll einzelne Szenen wie "Straße" oder "Walpurgisnacht". Schon der Prolog im Himmel ist multilingual: das Preisen der Engel, die Halluzination eines Intellektuellen, der unter dem Zwang steht, Gott und Welt ergründen zu müssen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.6.2006)