8900 Reidak, eine Figus aus dem Lego-Sortiment.

Bild: Hersteller

Das Böse lauert in der Kiste. Hinter der mattgrauen, leicht verstaubten Glasscheibe des Bildschirms verstecken sich wie hinter einem blickdichten Vorhang die Unholde der Mediengesellschaft: Vampire, Mutanten, Terroristen und böse Sternenkrieger. Die Sorge der Eltern ist verständlich. Es ist so einfach, die Schockschwadron ins Kinderzimmer zu locken. Ein Knopfdruck genügt, in der Kiste hebt sich der Vorhang, und sie treten ein, durch PC- und TV-Monitor: die Gewalttäter, die Nackten, die Talkshow-Opfer, die Lügner und die zwangsoptimierten Silikongeschöpfe, die die Kinder mit bösen und noch öfter falschen Träumen füttern.

Schreckerlebnis nicht ausgeschlossen

Eine andere Kiste steht unbeachtet in der Ecke des Kinderzimmers. Die Spielzeugkiste, in der man Lego-Klötze, Modellautos, Plüschtiere und pädagogisch wertvolles Holzspielzeug vermutet. Wenn man einmal den Deckel heben würde, ist ein Schreckerlebnis nicht ausgeschlossen - zumindest dann, wenn der Nachwuchs ein paar Figuren aus der "Lego Bionicle" -Serie im Portfolio hat: eine Gang fieser Roboter mit rot glühenden Augen, die mit pneumatischen Kanonen kleine Plastikkugeln abschießen können und auch sonst wenig zimperlich mit Eiskanonen und Stahlschwertern einen Krieg gegen eine konkurrierende Roboterbaureihe ausfechten. Die Roboter werden von der Firma als üble Schurken charakterisiert: "100 % Maschine. 0 % Mitleid. 100 % Listig. 0 % Lustig. 100 % Tier. 0 % Kuschel."

Zwischen "Terminator" und "Krieg der Welten"

Plüsch und harmloses Plastik sind offensichtlich out. Beinahe programmatisch formuliert die "Bionicle"-Reihe eine Absage an die weichen, sanften und lernpädagogischen Spielzeuge der Vergangenheit. Die von Lego präsentierte Storyline der Bionicle-Welt erinnert an einen düsteren Sciencefictionfilm und nimmt Anleihen bei "Terminator" und "Krieg der Welten". "Wir müssen die Insel erobern und die Einwohner versklaven", heißt es in einem mitgelieferten Comic, der sich mit Zitaten aus dem Mythenuniversum von George Lucas und Steven Spielberg versorgt hat, den beiden Regisseuren, die das Merchandising und den Blockbuster erfunden haben und gerade deshalb auch den Look des Spielzeugs entscheidend prägen.

Medien- und Konsumkultur

Mehr als jemals zuvor sind Kinder heute in die Medien- und Konsumkultur der Erwachsenen integriert, und darüber hinaus auch noch mit Mobiltelefon, Milliardenkaufkraft und einer enormen Meinungsmacht ausgestattet. Lego-Chef Jørgen Vig Knudstorp meinte kürzlich in einem Interview: "Die Kinder hören heute früher auf, mit klassischem Spielzeug zu spielen als wir damals. Heute eifern schon Achtjährige Britney Spears nach. Ein Mädchen, das davon träumt, im nächsten Jahr als Popstar groß rauszukommen, spielt nicht mehr mit Puppen."

Spielwaren

MTV und die Playstation sind in den Augen kulturkonservativer Menschen wohl so etwas wie der Antipol zu Teddybär und Legostein. Computer- und Videospiele zählen jedoch bereits bei jüngeren Kindern zu den Lieblingsspielzeugen. "Die Hersteller so genannter klassischer Spielwaren haben es in den vergangenen Jahren trotzdem geschafft, diesem Trend erfolgreich entgegenzusteuern, indem sie vermehrt Elektronik in die Spielwaren integriert haben", heißt es im Abschlussbericht der diesjährigen Spielwarenmesse Nürnberg. Das klingt wie eine Revolution. Dabei vergisst man schnell, dass der Trafo der Märklin-Bahn, der Elektro-Baukasten und Co sich schon immer moderner Technik bedient haben. Wenn sich etwas verändert hat, dann ist es höchstens die Inszenierung der Technik. Der Lego-Mindstorms-NXT-Baukasten zum Beispiel bietet zahlreiche Möglichkeiten, einen auf den eigenen Vorstellungen ausgelegten Roboter zu bauen und zu programmieren. Er kann dabei eigenständig auf Ton, Licht und Bewegung reagieren. Die Beispielmodelle, welche Lego auf seiner Webseite zeigt, sprechen Bände: ein riesiger Skorpion, ein Roboter, der vielleicht nur zufällig der Maschine ähnelt, die in einem Musikvideo der "Beastie Boys" einmal Tokio in Schutt und Asche legte.

Digitale Lebenswelt des 21. Jahrhunderts

Die technische Evolution schreitet rasch voran. Während es noch vor zehn Jahren keine Computerräume an den Gymnasien gab, rechnet man in der Spielzeugbranche damit, dass schon in drei Jahren 90 Prozent aller Fünfjährigen regelmäßig im Internet surfen werden. Und der US-TV-Sender CNN berichtete schon 2005 von der American International Toy Fair, dass die Grenzen zwischen Spielzeug und Elektronik nun endgültig verwischen. In der Spielzeugabteilung findet man hierfür viele Beispiele: Digitale Technik in der Modelleisenbahn oder Gesellschaftsspiele in Kombination mit Brett und DVD. Die Integration des Spielzeugs in die digitale Lebenswelt des 21. Jahrhunderts ist eine der großen Aufgaben für die Spielzeugentwickler. Ein gutes Beispiel für diesen Trend ist wieder "Lego Mindstorms". Das "Gehirn" des neuen Systems ist der NXT-Baustein, ein autonomer 32-Bit-Mikroprozessor, der am Computer programmiert und über Bluetooth-Technologie sogar von einem Handy oder einem PDA aus gesteuert werden kann.

Inhalte ins Netz

Es reicht für die Spielzeughersteller nicht mehr, einfach nur ein Produkt in ein Regal zu stellen. Sie müssen auch Inhalte ins Netz stellen. Zu den Spielfiguren von Lego, Playmobil und Mattel finden sich auf den Online-Portalen zusätzliche Comics, Film-Downloads und Musik, die für die Kinder im besten Fall ein multidimensionales Spielerlebnis schaffen, sie im schlechtesten Fall noch länger an den Bildschirm fesseln. Aber warum sollte man nicht von einem virtuellen Kinderzimmer träumen, bei dem Sechsjährige sich über Headset und Webcam verständigen und ihre neuesten Lego-Konstruktionen als Foto ins Netz stellen.

Der Wert eines Produktes

Natürlich ist der "Hero Tank" der Lego-Exo-Force ein erschreckendes Gefährt - "ausgerüstet mit Kanonen, Raketen und einem Disc-Shooter" - und hat wenig mit der naturromantischen Playmobil-Farm zu tun. Nicht alle halten das für eine Katastrophe. Playmobil-Chef Horst Brandstätter kommentierte kürzlich in einem Interview die Erfolglosigkeit "unseres schönen Eskimo-Spielsets" so: "Eskimos sind vielleicht zu brav. Bei Rittern ist das anders. Die streiten sich, da gibt es Kämpfe, Kriege, da fließt Blut. Das gefällt den Kindern." Bedenklich findet Brandstätter das nicht: "Wir geben den Kindern Gelegenheit, die Gefahren des Lebens zu verstehen." Damit ist die Firmenphilosophie durchaus in Einklang mit Erkenntnissen der Pädagogik. "Wir versuchen, unsere Kinder zum guten Benehmen zu erziehen", schreibt der amerikanische Pädagoge Gerard Jones, Autor des Buches "Killing Monsters", "das führt aber dazu, dass ihre Neugier nach Verbotenem wächst, nach Wut, Angst, der Lust an Aufregung und Zerstörung - dafür brauchen sie Monster." Anstatt aus der grausigen Optik eines Spielzeugroboters auf einen negativen Effekt zu schließen, sollte man vielleicht Horst Brandstätter zuhören, der meint: "Den Wert eines Produktes, eines Spielzeugs kann man nicht sofort sehen. Der entsteht erst im Kopf eines Kindes, wenn es seine Vorstellungskraft, seine Fantasie einsetzt."

Teddybär ist zurück

Aber auch für Eltern, die sich Sorgen um die neue Gestalt des Spielzeugs und seine Folgen machen, hat die technische Evolution ein interessantes Produkt hervorgebracht. Auf der American International Toys Fair wurde 2005 von Microsoft der Prototyp eines Teddybären vorgestellt, in dessen beweglichem Kopf eine Kamera eingebaut ist, die Bilder auf das Handy oder den Rechner der Eltern sendet, die daraufhin, durch Teddys Mund, Lob und Tadel sprechen können. Der Teddy als loyaler Verbündeter des Kindes gegen die Welt der Erwachsenen - das war einmal. Sollten die minderjährigen Technik-Freaks dem getarnten Babyfon auf die Schliche kommen, wird der Spionagebär sicher ganz schnell verschwinden - und zwar in der Spielzeugkiste. (Der Standard Printausgabe, Rondo, 23. Juni 2006, Tobias Moorstedt)