Klagenfurt - Die Autorin Claudia Klischat eröffnete den zweiten Tag des Lesewettbewerbs um den Ingeborg-Bachmann-Preis am Freitag in Klagenfurt mit der Erzählung "Stillstand", die sehr geteilte Urteile auslöste. Nach ihr trat Thomas Melle in den "Ring". Sein Text spaltete die Jury, und zwar nach Nationalitäten. Die deutschen Juroren waren "begeistert", die Österreicher beurteilten den Text ablehnend.

Reaktionen auf "Stillstand" ...

Klischats Erzählung zeichnet das Bild eines Arbeitslosen, der wieder Anschluss an die Gesellschaft sucht, während ihn zwei seiner Ex-Straßenkumpane sozusagen wieder mit nach unten ziehen wollen. Er stellt sich bei einer Spedition vor, die ihn - natürlich - nicht nimmt. Ursula März nannte den Text eine "aufregende Expedition", es sei nur schade, dass die Geschichte "tonlos" ausgefallen. Martin Ebel freute sich darüber, dass die Literatur der Arbeitswelt "wieder da ist".

Klaus Nüchtern fand die Geschichte an sich schlüssig, bemängelte aber formale Schwächen, speziell bei der Präsentation der Nebenfiguren. Karl Corino sah zum Einen schöne Bilder, zum Anderen fehle dem Text aber ein wenig das Wagnis. Juryvorsitzende Iris Radisch stellte die "ketzerische Frage", wie sie es nannte: "Warum ist das eigentlich Literatur?" Ihrer Ansicht nach wäre jede "Spiegel"-Reportage über die gleiche Situation besser, die Geschichte sei ihr "zu matt". Heinrich Detering verteidigte seinen Schützling, Klischat habe "streng dokumentarisch erzählt" und den Text ganz genau durchkomponiert.

... und "Nachtschwimmen"

Melles Text "Nachtschwimmen" beschreibt die Situation in einem Sommer-Studiencamp, seine Hauptfigur ist eine Studentin. Ost- und Westdeutsche treffen aufeinander, die Geschichte endet damit, dass die Protagonistin und ihre Kollegin einen Kommilitonen beinahe ertränken und sich anschließend gegenseitig unter Wasser drücken.

Detering war glattweg "begeistert", der Geschichte gelinge es, mindestens ein großes Drama zu erzählen, ohne ins Schwanken zu kommen. Daniela Strigl konterte: "Bei mir hüpft da gar nichts." Es sei ein banales Sujet, filmisch erzählt, die "stilistische Hochschaubahn" störe sie, die Sprache sei "auffrisiert wie ein Motor", der Autor wolle "Eindruck schinden". Nüchtern konstatierte ein "ganz gewaltiges Schwanken", in dem Text hätte ein Lektor "alle Hände voll zu tun". Karl Corino hielt dagegen, die Situation zwischen "Ossis und Wessis" sei sehr subtil gemacht, stellenweise entgleise aber doch die Metaphorik.

Radisch lobte die enorme Spannung und Leidenschaft des Textes, der "mit heißem Stift" geschrieben sei. Auch März zeigte sich begeistert. Ilma Rakusa wollte sich weder dem österreichischen noch dem deutschen Lager zuneigen, sie stehe dem Text sehr unschlüssig gegenüber. Burkhard Spinnen wies darauf hin, dass er selbst als Autor mit jedem Text Eindruck schinden wolle. Beim ersten Lesen habe ihn der Text "unangenehm berührt", beim zweiten und dritten Mal habe er jedoch mit der Hauptfigur "extrem mitgelitten". (APA)