Wien - Dem Begründer und einem der führenden Köpfe des Wiener Kreises, Moritz Schlick, widmet die Universität Wien und das Institut Wiener Kreis am Donnerstag (22. Juni) die Gedenkveranstaltung "In memoriam Moritz Schlick (1882-1936). Zum Aufstieg und Untergang der wissenschaftlichen Philosophie". Anlass ist der 70. Todestag des Physikers und Philosophen, der am 22. Juni 1936 54-jährig an von einem ehemaligen Studenten erschossen wurde.

Als Nachfolger von Ernst Mach auf den Lehrstuhl für Naturphilosophie 1922 an die Uni Wien berufen gründete Schlick 1924 einen wissenschaftlichen Diskussionszirkel, aus dem der Wiener Kreis entstand. Wöchentlich trafen sich Wissenschafter unterschiedlicher Fachrichtungen wie Rudolf Carnap, Otto Neurath, Herbert Feigl, Hans Hahn, Friedrich Waismann, Karl Menger, Viktor Kraft, Philipp Frank, Gustav Bergmann und Kurt Gödel. Auch Schlicks Begegnung und intensive Auseinandersetzung mit Ludwig Wittgenstein war von großer Bedeutung für den Wiener Kreis, der zunehmend auch internationale Besucher anzog, u.a. Alfred Tarski oder Alfred Jules Ayer, der ihre Arbeit in Großbritannien bekannt machte.

"Logischer Empirismus"

Der philosophische Ansatz des Wiener Kreises wurde unter dem Namen "Logischer Empirismus" bzw. "Logischer Positivismus" bekannt, Diese anti-metaphysische Wissenschaftstheorie hält alle Aussagen für sinnlos, die für die Wissenschaften weder einen empirischen, noch einen logischen Stellenwert haben ("Verifikationsprinzip"). Die philosophischen Grundlagen der einzelnen Wissenschaften sollten mit Hilfe der modernen Logik und Sprachanalyse frei von Metaphysik und in einer wissenschaftlichen Einheitssprache behandelt werden.

Dass diese Position als "veraltet" bezeichnet wird, wie dies immer wieder zu lesen ist, ist für Friedrich Stadler, Leiter des Instituts Wiener Kreis und Zeithistoriker an der Uni Wien, ein "nicht haltbarer Standpunkt", wie er im Gespräch mit der APA betonte. Die gesamte moderne Wissenschaftstheorie habe wesentlich vom Wiener Kreis profitiert, wesentliche Befunde seien in der heutigen Diskussion präsent.

Schlick, geboren am 14. April 1882 in Berlin, studierte Naturwissenschaften und Mathematik in Heidelberg, Lausanne und Berlin. Er dissertierte 1904 bei Max Planck mit einer Arbeit über die Reflexion des Lichts. 1911 habilitierte er sich an der Universität Rostock, wo er bis 1921 tätig war. In dieser Zeit freundete sich Schlick mit Albert Einstein an, über dessen Relativitätstheorie er sich als einer der ersten philosophisch auseinandersetzte. Nach einem Jahr in Kiel wechselte er an die Uni Wien.

Emigration

Am 22. Juni 1936 wurde Schlick von seinem ehemaligen Studenten Hans Nelböck auf einer Treppe im Hauptgebäude der Uni Wien erschossen. Stadler sieht diese Tat vor einem Hintergrund, der "genährt wurde durch politischen Katholizismus mit antisemitischen Subtext". Heute erinnert am Tatort eine in die Stiege eingelassene Tafel an Schlick. In Folge der Tat und vor dem politischen Hintergrund des Austrofaschismus und Aufstiegs der Nationalsozialisten emigrierten viele Mitglieder des Wiener Kreises. Der Diskussionszirkel löste sich auf, doch die in ihm vertretene Philosophie wurde dadurch internationalisiert.

Im Rahmen der Veranstaltung werden auch die ersten zwei einer auf zehn Bände angelegten Moritz Schlick-Gesamtausgabe (Springer Verlag) präsentiert. Band zwei dieses von Stadler und Hans Jürgen Wendel (Rostock) geleiteten und vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekts enthält u.a. Schlicks 1917 erschienene Schrift "Raum und Zeit in der gegenwärtigen Physik", für Albert Einstein "die beste philosophische Interpretation" seiner Relativitätstheorie. (APA)