Paul Cézanne, "La Montagne Sainte-Victoire au-dessus de la route du Tholonet" (1904).

Foto: Museum Folkwang
Die südfranzösische Stadt hat in diesem Sommer einiges anzubieten: Neben dem von Stéphane Lissner programmierten Opernfestival (das am 2. 7. mit Wagners "Rheingold" startet) können Kulturbegeisterte jetzt eine fulminante Cézanne-Schau betrachten.


Wer die Arbeiten des Aixer Malers Paul Cézanne (1839- 1906) in seinem nächsten Lebens- und Schaffensumfeld studieren will, dem wird in diesem Sommer in Aix-en-Provence eine einzigartige Gelegenheit geboten: Anlässlich des 100. Todestages am 22. Oktober startete nun im Musée Granet, das vergrößert wurde, die mit der National Gallery of Art in Washington gemeinsam organisierte Schau unter dem Titel Cézanne in der Provence statt.

Die Leihgaben aus aller Welt, insbesondere aus mehreren Museen der USA und Russland, sowie von privaten Sammlungen, deren Transport und Versicherungssummen ein Provinzmuseum niemals finanziell garantieren könnte, wurden durch die US-Koproduktion und die Hilfe der Dachorganisation der französischen Museen, der Réunion des musées nationaux, ermöglicht.

Eine ähnlich umfangreiche Schau wie diese, in der 117 Werke (85 Gemälde und 32 Aquarelle) zu sehen sind, gab es in Frankreich nur in den 90er-Jahren im Pariser Grand Palais, wo Cézanne seither sämtliche Publikumsrekorde hält. Ein Erfolg, der sich in Aix wiederholen könnte.

Grandioser Parcours

Die Schau, deren Schwerpunkt auf der Landschaftsmalerei liegt, bietet auch für die Provence typische Porträts und Stillleben, wie ein Porträt von Madame Cézanne im Garten des Elternhauses, dem Gärtner von Cézannes Atelier in Aix, die Kartenspieler oder die Badenden der letzten Jahre des Malers, sowie Früchte-und Flaschen-Stillleben. Der Ausstellungsparcours ist im Großen und Ganzen chronologisch gehängt. Er ergänzt die Biografie des zu Lebzeiten unverstandenen Cézanne, dessen Werk erst Ende der 1920er-Jahre durch den deutsch-amerikanischen Kunsthistoriker John Rewald international bekannt gemacht wurde. Der Parcours beginnt mit den großformatigen Darstellungen der Vier Jahreszeiten, die der 21-jährige Paul Cézanne im Hause seines Vaters malte, das der Bankier 1859 erwarb. Sie sind anspruchs- oder humorvoll mit "Ingres 1811" signiert. Le Jas de Bouffan, das auf mehreren in Aix gezeigten Gemälden erkennbare Haus mit dem großen Park, wurde anlässlich der Ausstellung restauriert und zählt zu den Touristenattraktionen, die man nun auch in Natura besichtigen kann.

Im Granet-Museum sind die Säle mit den Aquarellen besonders interessant, weil sich Cézanne im Laufe der Jahre bekanntlich zusehends auf einige Farbtupfer als Landschaftscharakteristika beschränkt. Weswegen die Cézanne-Interpreten das Spätwerk als einen Übergang zur Abstraktion beschreiben.

Zwischen 1869 und 1885 fuhr Cézanne (wie seine Malerfreunde und Zeitgenossen) nach L'Estaque, dem Fischerort bei Marseille, wovon mehrere der besten Gemälde der Ausstellung zeugen. Nach dem Bruch mit seinem Jugendfreund Emile Zola (nach dessen Roman L'oeuvre, der einen gescheiterten Maler beschreibt) im Jahre 1886, der Heirat mit Hortense Fiquet, mit der er bereits einen Sohn hatte und dem Tod des Vaters verlässt Cézanne Paris und zieht definitiv nach Aix.

Im Osten der Stadt malt er den magischen Berg Montagne Sainte-Victoire von mehreren Standorten aus, begeistert sich für die wild wuchernde Provence-Landschaft und die dunkelgelben Felsen in den Steinbrüchen der Aixer Umgebung, aus deren Steinen die Patrizierhäuser der Stadt erbaut wurden. Die "Carrières de Bibémus", ein etwa 10 Kilometer vom Stadtzentrum gelegener Steinbruch im Wald, kann ab diesem Sommer ebenfalls (nur mit Führung, wegen Feuergefahr) am Vormittag besucht werden, was effektiv eine gute Ergänzung zu den Bildmotiven ergibt.

Bei der Saalgestaltung und Hängung ist den Kuratoren lediglich ein grundlegender Fehler unterlaufen: sie beschließen die Ausstellung mit einem ganzen Saal mit den genialen Darstellungen des Berges Sainte-Victoire, haben jedoch den vorletzten Saal mit einem der Gemälde zur Thematik der Badenden so angelegt, dass viele Besucher meinen, jetzt sei Schluss.

Also Achtung: die Apotheose dieser Schau ist erst im absolut letzten Saal, hinter den Badenden zu finden. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.6.2006)