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Kriege, Hunger, Perspektivlosigkeit und die Bilder von Europa treiben hunderttausende in die Flucht: 50.000 Menschen aus den Ländern südlich der Sahara sollen in Marokko darauf warten, nach Europa zu kommen. Zwei Millionen sollen es in Libyen sein. 500.000 warten derzeit in Mauretanien auf eine Gelegenheit, auf die kanarischen Inseln überzusetzen. Bis zu tausend pro Tag schaffen die gefährliche Strecke.

Foto: REUTERS/Santiago Ferrero
Afrika ist viel zu groß für eine kurze Nachrichtenzeile, zu komplex für Verallgemeinerungen. Man stelle sich vor, über Europa würde so berichtet werden: "Kontinent ohne Hoffnung. Der Motor Wirtschaft hat einen Totalschaden (Deutschland); die Mafia bedroht eine neue labile Regierung (Italien); und auf London hagelt es Bomben, weil Tony Blair die Zügel der Macht nicht aus der Hand geben will; Streiks legen die Straßen lahm (Frankreich). Das Wirtschaftswachstum leidet an Anämie, und islamische Fundamentalisten versetzen alles (von Amsterdam bis Istanbul) in Angst und Schrecken. Europa ist ein Kontinent ohne Hoffnung. Was sollen wir tun, um ihn zu retten?" "Kongress des Volkes" Das ist selbstredend alles Unsinn - genauso unsinnig wie etwa die Rede vom afrikanischen Dilemma oder einer afrikanischen Lösung. Vor einem Monat fand in Südafrika ein "Kongress des Volkes" statt. Ein Katzensprung von Johannesburg entfernt, in Kliptown, versammelten sich hunderte Delegierte der Regierung und der Zivilgesellschaft, um Südafrika die Temperatur zu fühlen, und setzten das Konzept "Peer Review" in die Praxis um.

Ganz normale Leute hatten endlich Gelegenheit zu sagen, was ihnen wichtig ist - zu Themen wie Rechtssystem oder Sozialleistungen. Wann konnte sich ein Europäer abseits von Wahlen in seinem Land auf diese Weise Gehör verschaffen?

Vorreiterrolle Mit dem Peer-Review-System hat Südafrika eine Vorreiterrolle. Es setzt der absoluten Staatsmacht ein Ende, die viel an Machtmissbrauch im alten Afrika gedeckt hat. Diese Idee, dass wir eine Gemeinschaft sind und Verantwortung für alle tragen, ist neu. Es gibt also afrikanische Lösungen - auch jenseits von Bono oder Bob Geldof. Auch durch den nigerianischen Senat weht in diesem Jahr frischer Wind. Die Senatoren erklärten dem Präsidenten Olusegun Obasanjo unmissverständlich, dass er nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren soll. In Liberia setzte Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf im Zuge einer Antikorruptionskampagne nahezu die gesamte Finanzverwaltung an die Luft. Nicht alle richten ihre Segel nach dem frischen Wind, wie uns Robert Mugabes wahnsinnige Aktionen oder die Massenverhaftungen von politischen Gegnern in Äthiopien zeigen. Wir geben gar nicht vor, dass alles in Ordnung ist. Denn es ist nicht alles in Ordnung. Aber vor dem Hintergrund eines Irak am Rande des Bürgerkriegs und eines Iran im Visier des amerikanischen Präsidenten ist es kein Wunder, dass Afrika vom Radar verschwindet. Fair-Trade-Politik

Bono sagte kürzlich, dass die Spenden nichts mehr nützen, sondern dass man Afrika mit einer Fair-Trade-Politik unterstützen muss. In Kombination mit Entschuldungsmaßnahmen, die bereits gegriffen haben, ist das ein viel nachhaltigerer Weg in Richtung Sicherheit und Entwicklung. Die südafrikanische Brenthurst Foundation analysiert und bewertet diese Möglichkeiten und hat dabei festgestellt, dass das postkoloniale Afrika 580 Milliarden US-Dollar bekommen hat, die wenig Wirkung hatten.

Ölvorkommen

Wir müssen kapieren, dass Spendengelder nicht die Lösung, zumindest nicht die ganze Lösung sind. Man kann sie aber nicht einfach aussetzen. Was wäre dann mit den Hungernden in Simbabwe, den Vertriebenen in Darfur, mit denen, die im südafrikanischen Khayelitsha mit Aids-Medikamenten versorgt werden.

Afrika braucht die humanitäre Hilfe und wird sie noch länger brauchen. Aber Stabilität und nachhaltiger Wohlstand müssen aus anderen Quellen kommen. Afrikas Wirtschaft wächst derzeit jährlich um fünf Prozent. Es sind aber sieben Prozent notwendig, um die Standards der "Millennium Development Goals" zu erreichen. Dazu braucht man bessere Bedingungen für den Handel.

Die Ölvorkommen fördern die Investitionsfreude, aber zu wenig von dem Erwirtschafteten erreicht die Menschen. In der Landwirtschaft hat Afrika eine Chance. Wenn die Handelsschranken zu den reichen Märkten gesenkt werden, wachsen die Investitionstätigkeit und Beschäftigung. Auch der Tourismus hat Wachstumspotenziale.

Entwicklungsdividende

Wir müssen auch die Diaspora einschränken, wie Indien das getan hat. Es hat keinen Sinn, sich in einer globalisierten Welt darüber zu beschweren, dass es in Dubai mehr südafrikanische Krankenschwestern gibt als in Soweto und mehr ugandische Ärzte in San Francisco als in ganz Uganda. Was man besser steuern muss, sind die finanziellen Rückflüsse. Jedes Jahr schicken Migranten weltweit die ungeheure Gesamtsumme von 100 Milliarden Dollar in die Herkunftsländer. Der Löwenanteil geht nach Asien und in den Nahen Osten, aber der afrikanische Anteil wächst - und ist schon fast so hoch wie die Summe der Spendengelder.

In manchen Gegenden, wird von diesen Rückflüssen eine Entwicklungsdividende abgezogen. Wenn eine Familie ihre Kinder länger zur Schule schicken kann, entwickelt sich der Zusammenhalt zwischen den Generationen besser.

Aus der Perspektive eines Callcenters in Kapstadt, das Blumen aus Kenia vermarktet, sehen Lösungen für Afrika anders aus als für jene, die versuchen, in Darfur einen Friedensvertrag auszuhandeln. Fazit: Afrika muss seinen Platz in den Nachrichten behalten, dabei in seiner Komplexität dargestellt werden, damit man nicht wieder ein weiteres Jahr als ein vergessenes abschreiben muss. (DER STANDARD, Printausgabe, 17./18. 6.2006)