Ein Ehepaar, das sich noch einmal neu erkennt: Sabine Azéma und Daniel Auteuil in "Malen oder Lieben"

Foto: Polyfilm
Wien - Eine Frau mit einer Staffelei betritt eine kleine Lichtung. Sie wählt einen Ausschnitt und beginnt zu malen - da gerät ihr ein Spaziergänger ins Bild. Ganz in der Nähe stünde ein Haus zum Verkauf ...

Madeleine (Sabine Azéma), die ein kleines Unternehmen führt, und ihr Mann William (Daniel Auteuil), eben pensionierter Meteorologe, kaufen bald darauf das romantisch gelegene Anwesen. "Auch Besitz ist eine Emotion", sagt ihr neuer Nachbar Adam (Sergi López). Im Film scheint die Immobilie Letztere auf geheimnisvolle Weise zu befördern: Im Verhältnis der Ehepartner zueinander, das vor allem eine freundschaftliche Verbundenheit ausstrahlt, stellt sich das Begehren plötzlich wieder ein. Die äußere Veränderung setzt Intensitäten frei.

Die Überraschung, die die Protagonisten darüber empfinden, ebbt nicht ab, sondern wird vielmehr zu einem eigentümlich andauernden Schwebezustand. Vieles ist möglich - man versucht, Adams Erfahrung der Blindheit zu teilen, und als schließlich ein gemeinsames Abendessen mit ihm und seiner Frau (Amira Casar), die Eva heißt, in einen nächtlichen Partnertausch mündet, ist das ein unerwarteter weiterer Schritt aus dem alten Leben.

Der Film vermeidet jede spekulative, explizite Aufladung, die sich daraus ergeben könnte. Vielmehr spinnt er seine Erzählung auf der Ebene jenes seltsamen Erregungszustands weiter, der seine Protagonisten schon zuvor befallen hat. Madeleine und William sind verstört, aber die Zuwendungen ihrer Nachbarn haben keinen doppelten Boden. Allmählich gewinnt man auf dem mehrfach unbekannten Terrain neue Sicherheit.

Tätiges Lieben

Peindre ou faire l'amour heißt der dritte Spielfilm der Brüder Arnaud und Jean-Marie Larrieu im Original. Malen oder Lieben heißt er auf Deutsch. Das "Liebe machen", das dabei unterschlagen wird, hat nicht nur eine sexuelle Konnotation, sondern auch eine für den Film weit wesentlichere materialistische, stoffliche Komponente.

Darüber hinaus könnte man Malen oder Lieben auch als eine zeitgenössische Comedy of Manners beschreiben. Das an diesem Film artifiziell Anmutende - sein Konversationsstil, der bürgerliche Habitus, die Leichtigkeit im Handeln oder auch das fein abgehobene Spiel von Azéma - wäre damit einer Verhaftung in einer (literarischen) Tradition geschuldet. Allerdings ohne dass Malen oder Lieben deshalb weniger filmisch wäre: Vielmehr entwirft der Film einen Raum (und einen Rahmen) aus Landschaften, Lichtstimmungen - bei Anbruch der Nacht oder im Morgengrauen -, die mit den emotionalen Bewegungen auf eine gewissermaßen "natürliche" Art korrespondieren.

Dabei bleibt er trotzdem in hohem Maße konstruiert, legt über Namen oder andere Attribute der Figuren beiläufige Fährten aus und ist schließlich auch auf diese Weise lesbar: Die Distanz der Malerin und der wissenschaftlich informierte Blick des Meteorologen haben sich transformiert - am Ende sind sie beide als Liebende in das Bild und in ihren neuen Lebensraum eingegangen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16.6.2006)