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Zinédine Zidane übt. Der Welt- und Europameister wird, seitdem er aus dem Exil ins Nationalteam zurückkehrte, mit Napoleon verglichen.

Foto: AP/Christophe Ena
Stuttgart/Paris - Diese Pfiffe werden den französischen Stars noch lange in den Ohren gellen. An sich hätte das Vorbereitungsspiel gegen Mexiko ein Fußballfest werden sollen, spielte doch Zinedine Zidane zum letzten Mal im Stade de France auf - dort, wo er 1998 mit seinen zwei Kopftoren den WM-Sieg der Bleus über Brasilien besiegelt hatte. Doch die Stimmung in den Rängen war trotz des 1:0 miserabel, mehrere Spieler sowie Trainer Raymond Domenech wurden gnadenlos ausgebuht. "Ich verstehe die Welt nicht mehr", meinte Thierry Henry von Arsenal; Willy Sagnol, Verteidiger bei Bayern, fügte an: "Ich habe die Nase voll von diesen Pseudo-Anhängern!"

Alt und launig

Ausgerechnet die Franzosen, die sonst vor jedem Spiel der Equipe Tricolore, vor jedem Tennismatch von Amélie Mauresmo und vor jeder Tour de France absolut überzeugt sind, dass "sie" siegen werden - ausgerechnet sie fallen jetzt über die einst so vergötterten Bleus her. Die Stars seien alt und launig geworden, klagen die einen; sie könnten keine Tore mehr schießen, die anderen. Und alle sind sich einig, Domenech verstehe vielleicht etwas von Astrologie - novembergeborene Spieler haben es bei ihm schwer -, aber nichts von Fußball.

In den Pfiffen entlud sich all der Frust, der sich in den vergangenen Jahren aufgestaut hat. Nach den magistralen WM- und EM-Titeln folgte für die Bleus ein Fiasko nach dem anderen; bei der WM 2002 gingen sie sang- und klanglos unter, jetzt mussten sie sogar um die WM-Qualifikation zittern. Dabei war nicht etwa Unvermögen im Spiel: Dank dem karibisch-afrikanischen Spielerreservoir beschäftigt die einstige Kolonialmacht weiterhin soviel Topspieler in den europäischen Ligen, dass Domenech keine Mühe hätte, aus seinem Kader zwei Spitzenteams auf die Beine zu stellen. Das wissen auch die Anhänger, und es macht sie nur noch wütender. Der Frust hat nur zum Teil mit Fußball zu tun, und die Bleus können dafür kaum etwas - außer dass sie der Nation unfreiwillig den Spiegel vorhalten. Ihr Problem ist dasjenige Frankreichs.

Sie sollen überaltert sein? In der classe politique geben weit über 70-jährige Altherren wie Jacques Chirac, Valéry Giscard d'Estaing oder Jan-Marie Le Pen den Ton an.

Die Bleus sollen bequem geworden sein? Ganz Frankreich ruht sich auf den Lorbeeren der Wohlstandsjahre aus und hält sowohl an der 35-Stundenwoche als auch am Pensionsalter 60 fest; aufs Jahr gerechnet arbeiten die Franzosen 30 Prozent weniger als die Amerikaner.

Die Bleus sollen keine Tore mehr schießen? Ganz Frankreich ist blockiert, der Gesellschaft gelingt kein Fortschritt mehr, wie sich in den massiven Reformwiderständen und der lähmenden Amtszeit von Präsident Chirac zeigte.

So entspricht die sportliche Blockade der Domenech-Mannen dem gesamtfranzösischen Syndrom des "Rien ne va plus", das in den abgelaufenen zwölf Monaten gleich dreimal zugeschlagen hat: im Volksnein zur EU-Verfassung, den heftigen Banlieue-Krawallen sowie im Frühling in den Massenprotesten gegen die Arbeitsmarktreform des Erstanstellungs-Vertrages CPE. Frankreichs politisches, ja gesellschaftliches Modell ist in die Jahre gekommen wie die Altstars Zidane (33), Thuram (34) oder Makelele (33); diese zehren von ihrem glorreichen WM-Titel, so wie die Grande Nation verflossener Größe nachtrauert.

Nicht von ungefähr wird Zidane, seitdem er sich im vergangenen Sommer ins Team zurückmeldete, mit Napoleon verglichen, der ja auch einmal aus dem Exil auf Elba nach Frankreich zurückkehrte. Bloß endete jene Geschichts-episode mit der französischen Niederlage bei Waterloo.