US-Minimal-Music-Gründervater Tony Conrad gastierte beim R/U/I/N- Festival auf dem Wiener Praterstern.

Foto: R/U/I/N
Wien - Weil es bei teilnehmend das Weltgeschehen beobachtenden Internet-Bloggern gerade wieder mild-nostalgisch so hoch im Kurs steht - und die Welt damit allemal besser erklärt sein will als mit eigenen Beschreibungen eines als Sosein missverstandenen Daseins, ein Zitat des deutschen Kunstbegriffserweiterungskünstlers Joseph Beuys zum Beginn: "Das Kunstwerk ist das allergrößte Rätsel, aber der Mensch ist die Lösung."

Ernst ist beim dreitägigen, die Zukunft weisen wollenden und die Ohren gehörig durchschlackernden Wiener Lärmmusik-Festival R/U/I/N in einer abweisend schmucklosen U-Bahnbaustelle am Praterstern als temporärer Zone der akustischen wie auf das große Ganze verweisenden Verdammnis die Kunst.

Heiter nimmt der 65-jährige US-Multimedia-Künstler und Theoretiker Tony Conrad zum Abschluss dieses mit wilden Neutönern wie Mutter, Volcano!, Sand, Food For Animals, Slütspürt oder Trapist hochkarätig vollgestellten und vom Wiener Veranstalter Peter Nachtnebel mit sehr viel Engagement und wenig öffentlicher Unterstützung programmierten Festivals die Neuinterpretation seiner Komposition Violine Drone aus 1965.

Wir haben es hier gut eine Stunde lang mit minimal, aber doch und wenn, dann aber hallo und zieht euch warm an! variierten Ostinato-Figuren in nahe an A-Dur angesiedelten Quinten zu tun. Die weisen wie jede gute Komposition aus der Minimal-Schule seiner Zeitgenossen John Cage oder La Monte Young auf den Zusammenhang zwischen zeitlicher Dauer und menschlichem Bedauern hin.

Soll heißen: Auf die Länge mag es sich zwar mitunter erheblich ziehen. Der gerade auch bei angezogener Lautstärke erzielte hypnotische Sog, den man sich in der Kürze als jenen kosmischen Klageton vorstellen kann, den einst John Cale, ein Schüler und Kollaborateur Tony Conrads aus den frühen 60er-Jahren, für die Velvet-Underground-Klassiker Venus In Furs oder European Death Song sozusagen in kurzer Form für vom Popkonsum nicht gerade mit hoher Aufmerksamkeitsspanne gesegnete Hörer auf der Viola beisteuerte, ist allerdings beachtlich.

Siehe dazu auch Tony Conrads auf seiner Homepage veröffentlichten, im englischen Originaltitel von den verschiedenen Wortbedeutungen her ziemlich weit an die Grenzen gehenden Aufsatz Duration aus 2004. In dem geht Serpentinenlogiker Conrad nicht nur in harten Worten mit der "sozialen", gerade auch bildungsbürgerlich im Kunstkonsum ihre Auszeiten nehmenden Freizeitbeschäftigung eines verdrängenden Tragens und Ertragens und eben auch dem Dauern, Überdauern und schließlich dem nicht unwesentlichen Begriff der Ausdauer ins Gericht.

Wie man live in der grimmigen Umgebung einer noch im Bau befindlichen, aber spätestens 2008 an neue prekäre Arbeitssituationen aus der Peripherie anschließenden U-Bahnstation am Praterstern erleben konnte, verwendet Conrad als Absicherung vor so viel postmoderner Erlebniswelt-Scheinauthentizität, als letzte Sicherung vor dem Sichfallenlassen in dieses heute noch erschreckend aktuell dröhnende und widerborstige Endzeitmantra einen billigen wie plausiblen Kunstgriff. Der zuvor freundlich mit Rentnerfreizeitjacke, Hut und Billa-Sackerl über das Festivalgelände flanierende ältere Herr tritt hinter einer weißen Leinwand auf. In seinem Rücken wirft ein Scheinwerfer Schattenrisse in unseren Rezeptionsapparat. Wer Platons Höhle kennt, hier ist sie Gleichnis. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.6.2006)