Es hat Frau L. viel Überwindung gekostet, das Kommissariat Donaustadt aufzusuchen, um ein Sexualverbrechen eines unbekannten Täters zur Anzeige zu bringen. Nachfolgende Szene kommentiert sich von selbst: Nach einer Stunde Wartezeit erscheint die Polizistin und sagt: "Kommen S' mit!" Frau L.s Vertrauensperson darf beim Gespräch nicht dabei sein.

Die Beamtin eröffnet mit einer Orientierungsfrage: "Was glauben Sie, wie viele Frauen einen Seitensprung durch eine Anzeige vertuschen wollen?" Danach appelliert sie an das finanzielle Gewissen des Sexualopfers: "Allein die ärztliche Untersuchung kostet 3000 Euro." Da Frau L. den Raum noch immer nicht verlassen hat, setzt die Beamtin nach: "Sie wissen schon, dass das strafbar ist, wenn sich Ihre Angaben als unrichtig herausstellen?" Ihr gut gemeinter Tipp: "Wollen Sie die Anzeige nicht lieber doch zurücknehmen?" Antwort: "Nein!"

Die Niederschrift erweist sich als zweistündige Tortur. Schlusssatz: "Trotz Unglaubwürdigkeit bleibe ich bei meiner Aussage." Um endlich hier rauszukommen, unterschreibt Frau L. Zur psychologischen Hilfe wird ihr ein Folder in die Hand gedrückt. Die Polizistin verabschiedet sich mit den Worten: "Ich hoffe, dass Ihr Mann Ihnen glaubt." (Daniel Glattauer, DER STANDARD Printausgabe 12.6.2006)