Foto: Literaturhaus

Ein Fotoblick in die Wohnung von Karl Kraus: Für einen extrem belesenen Mann ist die Bibliothek eher dürftig ausgefallen - mehr als ein paar hundert Bücher bewahrte er in seiner Wohnung nicht auf.

Foto: Literaturhaus

Am 70. Todestag von Karl Kraus (1874-1936) wird im Literaturhaus Wien eine Ausstellung zu seinen Ehren eröffnet. Neben Handschriften sowie Erstdrucken zeigt sie auch Fotografien jener Wohnung, in der sich Kraus arbeitend die Außenwelt vom Leib hielt.

Wien – "Kein Kulturvolk steht seiner Sprache so teilnahmslos gegenüber wie wir . . . So kommt es, dass wir uns in öffentlicher Rede und im geschriebenen Wort eine Nachlässigkeit der Form und eine Rohheit des Ausdrucks gefallen lassen und gestatten, die einem empfindlichen Ohr die ärgsten Qualen bereiten."

Als Karl Kraus 1898 diese gestrengen Worte zu Papier brachte, war von fallunsicheren ORF-Kommentatoren und zu groben Sprachverwirrungen führenden Fußball-Weltmeisterschaften noch keine Rede. Dennoch hatte der junge Autor auch in seiner Zeit bereits Grund genug, im Pochen auf prägnanten und korrekten Ausdruck eines seiner Lebensthemen zu finden.

"Karl Kraus: Die Sprache – frühe und späte Aspekte" titelt eine Ausstellung, die am 70. Todestag des großen Einzelkämpfers im Literaturhaus Wien eröffnet wird. Die Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur hat hier interessante Fundstücke aus den journalistischen Anfangstagen vor der Fackel bzw. aus den letzten Jahren zusammengetragen.

So sind etwa einige der Texte ausgestellt, die Kraus ab 1892 für verschiedene Zeitschriften wie Die Gesellschaft verfasste. Bereits seine allererste Attacke gegen die verhasste Unaufrichtigkeit, die dem damaligen Wiener Literaturpapst Hermann Bahr galt, zeugte von seiner legendären Angriffslust. "Die frühen Texte haben schon seinen Biss und Witz", sagt Literaturhaus-Leiter Heinz Lunzer, "aber noch nicht diese Verhärmtheit, als er sich in den späten Zwanzigerjahren in viele Sachen verbissen hat."

Aufschlussreich sind trotzdem gerade auch die beiden späten Texte "Die Sprache" (1933) und "Wichtiges von Wichten" (1936). Diese für Kraus' Denken zentralen Aufsätze werden in ihrer Entstehungsgeschichte gezeigt, von Letzterem sind von der ersten Handschrift bis zur letztlich publizierten Fassung immerhin nicht weniger als 19 Stadien überliefert.

Entstanden sind diese Arbeiten in der Lothringerstra- ße 6, im 4. Wiener Gemeindebezirk, wo Kraus von 1912 bis kurz vor seinem Tod (1936) eine kleine Zweizimmerhochparterrewohnung mit Archiv im Untergeschoß bewohnte. Tatsächlich verwendet hat der stets unter Zeitnot stehende Autor sie allerdings praktisch nur zum Arbeiten und Schlafen.

Acht Fotografien, die unmittelbar nach seinem Tod gemacht wurden, zeigen eine Denkerklause, die für einen finanziell abgesicherten Autor, der früh über ein Automobil verfügte und auch gern das Flugzeug verwendete, erstaunlich klein ausgefallen ist. Besuch konnte Kraus hier nur sehr beschränkt empfangen, sein soziales Leben spielte sich im Kaffeehaus ab.

Die Menschen, die ihm lieb und wichtig waren, hatte Kraus bei der Arbeit dennoch immer um sich. Wo man spartanische Einrichtung erwartet hätte, überraschen an seinem Arbeitszimmer die mit Memorabilien vollgehängten Wände. Hier lassen sich Fotos verehrter Schauspielerinnen wie Kraus' erster Liebe Annie Kalmar entdecken, Porträts von Nestroy, Wedekind, Loos sowie Abbildungen des Hausherren selbst.

Für einen so extrem belesenen Mann ist dafür die Bibliothek dürftig ausgefallen, mehr als ein paar hundert Bücher bewahrte er in seiner Wohnung nicht auf. Neben Fackel-Bänden finden sich Heine, Strindberg und der geliebte Shakespeare, den Kraus ohne Englischkenntnisse aus verschiedenen Übersetzungen ins Deutsche nachdichtete. Für anderes muss er Bibliotheken konsultiert haben.

70 Jahre nach seinem Tod steht es um das Werk von Karl Kraus trotz seines unbestrittenen Ranges nicht eben zum Besten. Mehrere Bände der Werkausgabe bei Suhrkamp sind schon länger vergriffen, die Fackel liegt nur in einer überteuerten, mangelhaften CD-ROM-Edition vor.

Ab 1. Jänner 2007 ist sein Werk jedoch frei und kann ohne Tantiemenzahlungen neu publiziert werden. Gerade bei einem Autor, der der Menschheit mehrfach punktgenaue Prognosen und Analysen ihrer schlimmsten Stunden lieferte, wäre das wünschenswert. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2006)