Als die iranischen Frauen lernten, Zutritt zum Weltfußball zu begehren: Bild aus dem Kinofilm "Offside".

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Er kommt nun also doch nicht. Der iranische Präsident Ahmadi-Nejad wird sich bei der Fußball-WM in Deutschland vertreten lassen. Viele Oppositionelle im Land und in der Diaspora werden das mit Genugtuung sehen, denn sie erachten Fußball eigentlich als ihr Spiel.

Die islamischen Kleriker haben - anders als der populistische Präsident - für diesen westlichen Sport nie viel übrig gehabt - aus guten Gründen, wie die Ereignisse im November 1997 beweisen. Die Nationalmannschaft des Iran hatte in Melbourne ein Entscheidungsspiel gegen Australien gewonnen - die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Frankreich im Jahr darauf war damit gesichert.

Drei Tage musste sich das Team auf Anordnung der Machthaber bei der Heimreise Zeit lassen. Aber auch dann war die Stimmung noch immer so turbulent im Land, dass es bei der offiziellen Feier im Azadi-Stadion in Teheran zu einem Eklat kam. Die Frauen, die keinen Zutritt hatten, skandierten unüberhörbar: "Sind wir nicht Teil der Nation? Wir wollen auch feiern. Wir sind keine Ameisen."

Für den US-Journalisten Franklin Foer, Chefredakteur von The New Republic, liegt in dieser "Fußballrevolution" ein "Schlüssel für die Zukunft des Nahen Ostens". Foer glaubt, dass Fußball einen "säkularen Nationalismus" unterstützen kann, dass also die Fans von Nationalteams, aber auch von wichtigen Clubmannschaften eher in der Lage sein könnten, fundamentalistische Auffassungen und sektiererische Parteinahme zu überwinden.

Import, Export

Foer bringt dafür Beispiele aus zahlreichen Ländern (siehe sein Buch "Wie Fußball die Welt erklärt", Heyne 2006). Er hat versucht herauszufinden, warum Brasilien so viele tolle Fußballer exportiert, im eigenen Land jedoch keine konkurrenzfähige Liga zu organisieren vermag (die Korruption scheint unüberwindbar).

Er hat in Serbien unselige Verstrickungen von Roter Stern Belgrad in die nationalistische Sache beobachtet, und in der Ukraine mit gestrandeten nigerianischen Legionären gesprochen, die vergeblich auf ein Angebot aus Spanien hoffen. In Schottland und Nordirland fand Foer triftige Argumente gegen seinen Optimismus. Aber auch in Glasgow ist die Rivalität zwischen den protestantisch geprägten Rangers und dem katholischen Team Celtic inzwischen durch kommerzielle Interessen gebrochen - Klubs, deren Anhänger keine Fanatiker des Spiels, sondern der Gewalt sind, sind international schwer integrierbar.

In der Mannschaft, der Foer anhängt, findet er ein Modell für den fortschrittlichen Fußball, der ihm vorschwebt: Der FC Barcelona steht zwar für den katalanischen Nationalismus, gibt diesem jedoch eine Ausdrucksform, die radikale Strategien ersetzt. Anders als im Baskenland ist der katalanische Nationalismus integrativ. Wenn das Fußballidol Johan Cruyff seinen Sohn Jordi nennt, dann ist das eine Beitrittserklärung zu einer Idealnation, die keine Reisepässe ausstellt, aber zur EU zählt.

Als Foer sein Buch schrieb, hatte der FC Barcelona noch den romantischen Nimbus des genialen Verlierers. Der Sieg in der Champions League '06 konnte jedoch wie eine Bekräftigung seiner These gesehen werden. Die Weltauswahl der Wahlkatalanen drehte das Match gegen die Weltauswahl des FC Arsenal London. Als globales Business durchläuft der Fußball derzeit eine Modernisierung, die unweigerlich Verlierer produziert.

Trotzdem entsteht ein weltweites System, das nicht nur die kommerzielle Potenz des Westens, sondern auch seine egalitären Ideale populär macht. Nur dort, wo die nationalen Ligen einen fairen Wettbewerb ermöglichen, entstehen attraktive Umstände für Spieler, Trainer, Investoren, Sponsoren. Der Fußball wiederholt die Geschichte der westlichen Nationalstaaten - nicht von ungefähr hat die englische Premier League die ausgeprägteste Tradition von "self-governance", während die Serie A in Italien parallel zu Berlusconi zum Selbstbedienungsladen verkam.

Die Ligen sind das Maß der Dinge im Weltfußball, die Nationalmannschaften ein Relikt. Und doch gilt bei der Fußball-WM eine prinzipielle Chancengleichheit, die ein Spiegel der Globalisierung mit all ihren Verzerrungen ist. Wer daran teilnimmt, erkennt das an. Das hat vielleicht auch der iranische Präsident begriffen. Er bleibt daheim in einem Land, in dem andere Gesetze gelten. (DER STANDARD, Printausgabe, Freitag, 9. Juni 2006)