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derStandard.at: Glauben Sie, dass die Meldung, der Terroristenführer im Irak, Abu Musab Al Zarqawi sei getötet worden, wahr ist?

Posch: Sagen wir es so: Ich glaube, dass jetzt keine Statements von dem, der Zarqawi sein soll, kommen werden. Aber die Geschichte um seine Person ist eine merkwürdige. Zarqawi erscheint in der seriösen Berichterstattung erstmals 2002/2003 als Jordanier, der sich in die kurdische Region nahe Halabja einschleicht.

Er soll schwer verwundet gewesen sein, in Bagdad habe man ihm ein Bein amputiert. Danach verschwindet er. Leute, die diesen, nennen wir ihn "Zarqawi 1" kannten, beschreiben ihn als einfach gestrickten, radikalen Gesellen, der kaum das intellektuelle Rüstzeug für eine Führungspersönlichkeit hatte.

Auf einmal taucht "Zarqawi" wieder auf und wird zum Stellvertreter der Al-Kaida in Mesopotamien. In der Berichterstattung wird auf eine ironische Art und Weise darüber spekuliert, ob er nun ein oder zwei Beine hat. Meiner Meinung nach wurden hier mehrere Personen verschmolzen.

derStandard.at: Wer wurde nun getötet?

Posch: Für alle im Irak brachte die Figur Zarqawi eine win-win-Situation. Zarqawi war in den letzten Jahren eine Entschuldigung für so ziemlich alle. Er war der Inbegriff des Bösen, so konnten ihm die radikalen sunnitischen Gruppen das Meiste in die Schuhe schieben. Er war praktisch für die Leute des Al-Kaida-Netzwerkes, die konnten beweisen, dass sie im Irak aktiv sind.

Und er war für alle Iraker eine Figur, auf die sie deuten konnten: "Dieser Ausländer ist für das Blutvergießen verantwortlich." Auch für die US-Besatzung war er eine gute Ausrede. An ihm konnte und kann jetzt vorexerziert werden, dass man etwas gegen Al-Kaida im Irak unternimmt. Diese Geschichte geht so lange gut, bis einer der Beteiligten aussteigt und die Figur "sterben lässt". Das hat offenbar die irakische Regierung gemacht.

derStandard.at: Welche Stellung hatte die Figur Al Zarqawi innerhalb der Al-Quaida und in welchem Verhältnis stand sie zu Osama bin Laden?

Posch: In der Urversion hat es geheißen, dass Al Zarqawi nie in den engsten Kreis um Bin Laden gekommen ist. Dann hieß es eine Zeit lang, dass er so etwas wie ein - mehr kriminelles als islamistisches - Konkurrenzunternehmen zu Bin Laden ist. Ende 2004 wurde verlautbart, dass er sich Bin Laden unterworfen hätte und offiziell zu seinem Stellvertreter geworden ist. Das klingt natürlich recht glaubhaft, aber die Frage ist, ob Bin Laden tatsächlich eine Organisation mit Struktur und Führungselementen hat.

Soviel wir von den Al-Kaida-Leuten wissen, waren relativ wenige Jordanier dabei. Es lassen sich die Kerngruppen leicht identifizieren. Der ägyptische Cluster um Zawahiri, der saudische Cluster um Bin Laden selbst, nordafrikanische Gruppen, Syrer. Ob diese Gruppen sich Bin Laden unterworfen haben, ist nicht ganz klar. Was ist Al-Kaida wirklich? Entwickelt und verselbstständigt sich das "Netzwerk"? Die Gefahr der Post-Bin-Laden-Al-Kaida ist mit dem Tod der Figur Zarqawis auf alle Fälle nicht gebannt.

derStandard.at: Ist zumindest Zarqawis Netzwerk geschwächt oder stehen schon etwaige Nachfolger in den Startlöchern?

Posch: Zarqawi war eine Figur, die im Vordergrund operativ und taktisch tätig war. Er war allerdings sehr umstritten. Die Frage ist, ob es durch seinen Abgang für Al-Kaida-Elemente nicht noch leichter geworden ist, sich in irakische Widerstandszellen einzuklinken. Das Zarqawi-Problem, nämlich dass ausländische Kämpfer in einem internationalen, sehr dünn gestrickten Netzwerk arbeiten, ist mit seinem Abgang nicht aus der Welt.

derStandard.at: Welche Stellung hatte er bei der irakischen Bevölkerung?

Posch: Auf der einen Seite steht die Tatsache, dass die Gruppe um ihn sich ohne Unterstützung aus der irakischen Bevölkerung wohl nicht so leicht hätte verstecken können. Auf der anderen Seite hat es immer wieder Berichte gegeben, dass die ausländischen Kämpfer sehr verhasst waren.

derStandard.at: Welche Bedeutung hat dieser "Erfolg" für die USA? Eine gute Gelegenheit von "Haditha" abzulenken?

Posch: Das spielt sicher auch eine Rolle. Aber vorrangig brauchen die USA dringend einen Erfolg. Sein Tod wird sicher als ein solcher gewertet werden, meiner Meinung nach ist das aber völlig überbewertet. Ein "großer Erfolg im Kampf gegen den Terrorismus" ist der Tod Zarqawis nicht. Die Saat der Al-Kaida-Ideologie geht jetzt erst langsam auf. Ob das nun Pakistaner britischer Abstammung sind, Araber aus Nordafrika, Afghanen, Sudanesen oder Syrer, der Irak ist das Ausbildungslager für alle, die dem Al-Kaida-Netzwerk nahe stehen.