Pilz: "Die SPÖ hat es aufgegeben, in allen wichtigen Fragen dieser Republik eine Alternative zur ÖVP-Regierung zu entwickeln."

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STANDARD: Die Grünen attackieren derzeit gleichermaßen ÖVP wie SPÖ. Ist das eine Absage an die ursprüngliche Absicht, in die Regierung zu wollen? Wollen die Grünen Oppositionspartei bleiben?

Pilz: Das werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Die werden entscheiden, ob wir eine von zwei wichtigen Rollen einnehmen: entweder stark genug werden, um Regierungsverhandlungen führen zu können, oder zumindest die Nummer eins in der Opposition sein, das ist auch eine Schlüsselrolle.

STANDARD: Die Absicht, Regierungsverhandlungen zu führen, ist also noch vorhanden?

Pilz: Ja. Die Absicht, zur politischen Alternative in der Republik zu werden, ist stärker als je zuvor vorhanden. Wenn es die SPÖ schon aufgibt, eine wirkliche sozialdemokratische Wende vorzubereiten, dann werden wir nicht parallel dazu aufgeben, eine grüne Wende vorzubereiten.

STANDARD: Ist es glaubhaft, dass die Grünen die SPÖ an der Hand nehmen und zu einer Wende im Sinne der Grünen hinführen könnten?

Pilz: Ich weiß es nicht. Ich weiß auch nicht, was passieren muss, damit die SPÖ nicht ausschließlich in Richtung ÖVP umfällt, sondern auch einmal in Richtung Grün.

STANDARD: Was ist der Hauptvorwurf gegen die SPÖ?

Pilz: Schlicht und einfach: Die SPÖ hat es aufgegeben, in allen wichtigen Fragen dieser Republik eine Alternative zur ÖVP-Regierung zu entwickeln. Der Vorwurf dahinter: Die SPÖ hat ein großes Motiv, und das heißt: zurück an die Macht um jeden Preis. Wir haben es zu tun mit zwei "Um jeden Preis"-Parteien. Einer ÖVP, die um jeden Preis an der Macht bleiben will, und einer SPÖ, die um jeden Preis an die Macht zurückwill.

STANDARD: Das kann man den Grünen auch vorwerfen: dass sie um jeden Preis mitregieren wollen.

Pilz: Deswegen sind wir auch bei den Regierungsverhandlungen aufgestanden und haben sie von uns aus abgebrochen. Dazu sind wir auch das nächste Mal bereit. Vom Jahr 2000 bis zum Beginn des Jahres 2005 hatte ich persönlich aber den Eindruck, dass die SPÖ einen politischen Neustart versucht. Von der Asylpolitik bis zur Menschenrechtspolitik haben wir was sehr Ähnliches gegenüber den Regierungsparteien vertreten. Im Februar 2005 ist es zu einer plötzlichen Wende gekommen, die jetzt auch die Kunstpolitik, die Europa-Politik und andere Bereiche erfasst hat. Ich habe miterlebt, wie sozialdemokratische Abgeordnete zu uns gekommen sind und gesagt haben: Wir würden ja gerne, aber bei uns ist die Linie geändert worden. Und die Linie ist mit Sicherheit nicht aus Überzeugung geändert worden. Ich unterstelle einem Alfred Gusenbauer nicht, dass er plötzlich die Asylvorstellungen oder die Kunstvorstellungen der ÖVP übernommen hat. Das ist glatter Opportunismus und glatter Populismus. Die Strategie dahinter dürfte sein: "Wir positionieren uns nur in wenigen Fragen, wo wir uns völlig sicher sind, gegen die ÖVP, in allen anderen Fragen machen wir uns dadurch unangreifbar, dass wir auf Regierungslinie sind."

STANDARD: Dann spräche aus Sicht der ÖVP alles für die SPÖ. Warum sollten die Grünen für die ÖVP die bessere Alternative als Koalitionspartner sein?

Pilz: Es geht nicht darum, was die ÖVP will. Wir hoffen, dass wir nach den Wahlen stark genug sind, dass wir mit einer Partei Regierungsverhandlungen führen. Die Grundpfeiler, um die es uns geht: eine ökologische Wende, eine Wende im Bereich der Menschenrechte und der Grundrechte, eine Wende im Bereich Bildung. Da sind die Positionen klar und eindeutig. Das wird sich auch nach den Wahlen nicht ändern und es wird eine reine Frage der Stärke sein. Ich unterstelle der ÖVP und der SPÖ aufgrund der Erfahrung der letzten Jahre, dass sie, wenn es um die Macht geht, bereit sind, von den Eurofightern bis hin zur Asyl- und Integrationspolitik sehr, sehr weit nachzugeben.

STANDARD: Die Unterschiede zur ÖVP scheinen dennoch größer als jene zur SPÖ.

Pilz: Wir wollen einen grünen Kurswechsel in der österreichischen Politik, ohne nach Schwarz oder nach Rot zu schielen. Das ist ein eigenständiges Projekt der Grünen, und wir unterscheiden uns darin mehr von der SPÖ als jemals zuvor. Sich von der ÖVP in fast allen wesentlichen Fragen unterscheiden zu können, ist ja auch deswegen einfacher, weil die ÖVP Regierungspartei ist. Die große Distanz zur Regierungspartei ist ja fast etwas Natürliches. Aber dass es in dieser Phase der Entwicklung in ganz wesentlichen Fragen zur SPÖ so große Unterschiede gibt, das wird sicherlich einige überraschen.

STANDARD: Ist das dann überhaupt überbrückbar?

Pilz: Das muss man die SPÖ fragen. Unsere Positionen in der Menschenrechtspolitik, in der Ökologie, in der Frauenpolitik, in der Kulturpolitik, das sind ja Positionen, die sich im Kern über lange Zeit nicht geändert haben. Aber mit dem Verhalten der SPÖ wächst wöchentlich die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder die alte große Koalition kriegen. (DER SSTANDARD, Printausgabe, 6.6.2006)