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Von der Aufgabe, in aussichtsloser Situation Würde zu bewahren und Haltung zu zeigen: Becky London (links) und Tom O'Rourke als Jean und Donald Peterson in "United 93".

Foto: Olley/AP
Wien - Als George W. Bush vor einiger Zeit vor Kameras trat und davon berichtete, wie knapp ein weiterer großer Terroranschlag auf den "Liberty Tower" (richtig wäre gewesen: den "Library Tower") in Los Angeles abgewendet worden sei, war dies ein deutliches Indiz dafür, welchen Stellenwert 9/11 inzwischen gewonnen hat. Die Anschläge sind immer noch das begründende Moment seiner Politik. Je umstrittener sie wird, desto wichtiger ist es für ihn, sie im Gedächtnis zu halten.

Wenn Hollywood nun allmählich dazu übergeht, sich selbst ein Bild von den Ereignissen zu machen, so steht dahinter ein gegensätzliches Interesse. 9/11 soll entpolitisiert und demokratisiert werden, es soll den Opfern und Beteiligten, den Hinterbliebenen und dem Land zurückgegeben werden, für das Hollywood immer eine Art Gegenregierung gebildet hat. Der Film Flug 93 von Paul Greengrass, der in den USA seit einigen Wochen in den Kinos läuft und dieser Tage beim Filmfestival in Cannes präsentiert wird, macht diese Tendenz hinreichend deutlich.

Greengrass erzählt die Ereignisse rund um das vierte Flugzeug, das am 11. September gekapert wurde, aber kein Anschlagziel erreichte, sondern auf einem Feld abstürzte. Flug 93 hatte Verspätung, deswegen wussten die Passagiere schon von der Situation in New York und gingen schließlich in der Kabine zum Angriff auf die Terroristen über. Es gibt zahlreiche Tondokumente aus dem Flugzeug und auch sonst eine dichte Faktenlage.

Trotzdem muss Paul Greengrass natürlich eine Menge ergänzen. Er beginnt mit dem Morgengebet der Attentäter und weitet von da aus den Blick auf die umfangreiche Logistik, von der jeder Flug abhängt, die aber gewöhnlich unsichtbar bleibt. Zivile und militärische Flugsicherung stehen ständig in Kontakt, die Kommunikation wird in dem Moment noch intensiver, in dem eine Nachricht aus einem offenbar entführten Flugzeug entziffert wird: "We have some planes", sagt da ein Mann.

Greengrass hat mit Handkamera und zum Teil mit Darstellern gedreht, die tatsächlich die Funktion ausüben, in der sie im Film zu sehen sind. Nur gegen Ende konzentriert er sich wirklich auf den Flug 93. Zuvor bildet er das Chaos ab, das die Plötzlichkeit der Anschläge innerhalb der Sicherheitsapparate bewirkt hat. Das Eingreifen der Passagiere im vierten Flugzeug erscheint schließlich zwar konsequent, aber keineswegs entscheidend.

Flug 93 kann wie ein Kippbild betrachtet werden: Für die Opfer zeigt er jenes Minimum an Würde, das ein selbstbestimmter Akt auch in einer aussichtslosen Situation ergibt. Für mögliche Sympathisanten der Terroristen aber muss der Film wie ein Triumph wirken, denn Greengrass zeigt eine Supermacht im Moment des größten Chaos. Dieses Problem, das Greengrass mit seinem kollektiven Ansatz offen gelassen hat, werden künftige Filme zu diesem Thema vermutlich konventioneller lösen: Sie werden sich auf heroische Individuen konzentrieren.

Oliver Stones Film World Trade Center (ab September im Kino) stellt zwei Angestellte der Port Authority in den Mittelpunkt seiner Erzählung. Nicolas Cage wird John McLoughlin spielen, der zusammen mit einem Kollegen als letzter Überlebender aus den Trümmern von Ground Zero geborgen wurde. "Ich zeige ein Beispiel des Heldentums in unserem Land", hat Stone unlängst gesagt, "aber ich mache auch einen Film, dessen Humanität international ist." Im fünften Jahr nach 9/11 sind die USA immer noch mit "Anger Management" beschäftigt, und der Präsident ist eifersüchtig um eine Deutungshoheit besorgt, die ihm die Unterhaltungsmedien zunehmend streitig machen. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 5. 2006)