Wien – Die Symphoniker stellen dieser Tage ihre Wandlungsfähigkeit ausgiebig unter Beweis: Brachen sie unlängst im Konzerthaus mit Friedrich Cerha eine Lanze für Zeitgenössisches, so kehrten sie nun mit Beethovens neunter Symphonie im Musikverein ein.

Während letzteres Werk seiner Gängigkeit zum Trotz die Interpreten noch immer vor gewichtige Probleme stellt, erwiesen sich die Baal-Gesänge (1981) als absolut repertoiretauglich – insbesondere bei der verständigen und verständnisfördernden Darstellung von Bariton Jochen Schmeckenbecher, der das Drama des Einsam-Unverstandenen mit hoher Textdeutlichkeit und feinen Zwischentönen entwickelte.

Währenddessen sorgte Michael Boder für eine große Leistung des Orchesters, das Cerhas stilistische Vielsprachigkeit farbenreich umsetzte. Jubel und ein seltener Sturm der Autogrammjäger auf einen zeitgenössischen Komponisten waren die Folge.

Ebenso umjubelt wurden die Symphoniker und Georges Prêtre, der Beethovens Neunte mit Überblick und sparsamen Gesten anging. Straff und nachdenklich zugleich erstrahlte der Kopfsatz, wie gemeißelt die scharfen Punktierten; das Scherzo prägten Unbändigkeit und Derbheit, die Prêtre nahtlos in Sanglichkeit übergehen ließ, wobei hier allerdings manches aus dem Ruder zu laufen drohte. Doch aus diesem Risiko erwuchsen auch starke Momente, wenn sich etwa im pastoralen Trio die Bläser freispielten wie beim von delikater Eleganz ausgezeichneten Oboensolo von Paul Kaiser.

Abgeklärt und entrückt wirkte dann der langsame Satz bei gleichwohl mahlerisch drängendem Mittelteil – womit es Prêtre gelungen war, einem der größten interpretatorischen Probleme der Neunten, ihrem Zusteuern aufs Finale hin, profiliert zu be^gegnen. Mit rückhaltloser Inbrunst vermochte der Schlusssatz, wenn auch zuweilen dick aufgetragen wurde, auch dank des gut gecoachten Singvereins, durchaus mitzureißen.

Dies galt auch für den deutlich Freude verkündenden Robert Holl, der Krassimira Stoyanova, Katharine Goeldner und den seine Anstrengung nicht verhehlenden Tenor Kim Begley gleichwohl zuweilen kraftmeierisch überrollte. Überschwang prägte mithin das Geschehen mehr als Zweifel an Beethovens Menschheitsutopie, auch wenn der "wie ein Held zum Siegen" marschierende militärische Gleichklang auch eine katastrophische Sicht der Dinge nicht gänzlich auszuschließen schien. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.6.2006)