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Marianne Heuwagen ist Leiterin von Human Rights Watch Deutschland in Berlin.

Foto: AP/Time Magazine
Amerikanische Marines sollen in dem sunnitischen Dorf Haditha im November 2005 mehrere Zivilisten erschossen haben, darunter auch Frauen und Kinder. Die irakische Behörden sprechen von "absichtlicher" Tötung. Marianne Heuwagen von Human Rights Watch zeigt sich im derStandard.at- Interview besorgt über die zunehmenden Verbrechen von Seiten der amerikanischen und irakischen Militärs.

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derStandard.at: Falluja, Abu Ghraib, Haditha: Allein die bekannt gewordenen Menschenrechtsverletzungen durch die US-Streitkräfte im Irak ergeben bereits eine veritable Liste. Kann man hier überhaupt noch von Einzelfällen sprechen?

Heuwagen: Human Rights Watch hat schon vor einiger Zeit nachgewiesen, dass Abu Ghraib kein Einzelfall war. Das Schlimme ist, dass nur ganze wenige Armeeangehörige bisher zur Rechenschaft gezogen worden sind und vor allem niemand innerhalb der US-Administration, obwohl die Kette der Verantwortlichen bis in die Spitze der US-Regierung reicht.

derStandard.at: Die oft jungen Soldaten haben mit der Jagd nach schwer zu identifizierenden Terroristen und dem Schutz der Zivilbevölkerung eine schwierige Aufgabe. Sind die Truppen überfordert?

Heuwagen: Die Amerikaner haben sicherlich nicht genau gewusst, worauf sie sich im Irak eingelassen haben. Und so eine Situation mit Häuserkämpfen und den Angriffen von verschiedenen Seiten zu bewältigen ist sicher nicht einfach. Aber die US-Armee hat klare Regeln, gegen die offensichtlich immer wieder verstoßen wird. So ein Massaker wie in Haditha dürfte eigentlich nicht vorkommen.

derStandard.at: Ähnliche Vorfälle, an denen Angehörige der übrigen Koalitions-Truppen beteiligt sind, werden weit seltener bekannt. Täuscht der Eindruck oder sind die US-Truppen punkto Menschenrechtsverletzungen tatsächlich weniger zimperlich?

Heuwagen: Es kommt zu vielen Menschenrechtsverletzungen im Irak, nicht nur auf Seiten der US-Truppen, sondern auch auf Seiten der Aufständischen. Die irakische Polizei und das irakische Militär verletzen die Menschenrechte jeden Tag, und leider oft in viel schlimmerem Maße als die Amerikaner.

Doch die Irakis sollten eigentlich von den US-Truppen ausgebildet werden. Vor allem sollte die US-Armee ein Vorbild sein. Aber wie kann sie als Vorbild bestehen, wenn sie ihre eigenen Soldaten nicht kontrollieren kann?

derStandard.at: Das Pentagon versprach einen Untersuchungsbericht und Aufklärung. Was ist davon zu halten, wenn das US-Militär ihre eigenen mutmaßlichen Verbrechen untersucht?

Heuwagen: Entscheidend ist doch, dass die US-Armee offensichtlich nicht die Fähigkeit besitzt, sich selbst zu kontrollieren. Die US-Armee sollte eigentlich Verbrechen verhindern. Nicht nur geschieht dies nicht, sondern die Verfehlungen werden auch nicht aufgedeckt.

Die Vorfälle in Haditha sind doch erst untersucht worden, nachdem Journalisten darüber berichtet haben. Manchmal muss man leider beobachten, dass diejenigen, die in der Armee für Öffentlichkeitsarbeit zuständig sind, die Untersuchungen in den eigenen Reihen eher behindern.

derStandard.at: Sind Untersuchungen derartiger Ereignisse von unabhängiger Seite überhaupt möglich? Wer könnte diese im Irak vornehmen?

Heuwagen: Die Armee müsste eigentlich selber in der Lage sein, diese Vorfälle zu untersuchen. Human Rights Watch ist nicht nur besorgt wegen einzelner Vorfälle wie Haditha, sondern wir sind in Sorge wegen des US-Militärs insgesamt.

Wenn man eine Atmosphäre von Straflosigkeit kreiert, also in der diejenigen, die Verbrechen begehen, nicht bestraft werden, dann schafft man eine Atmosphäre, in der Missbräuche stattfinden. Und das ist leider im Irak wiederholt geschehen.