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Eine Ermordete wird nach dem Massaker auf einen Lastwagen getragen

Foto: Reuters
Ein Massaker amerikanischer Marines in einem sunnitischen Dorf hat Erinnerungen an den Vietnamkrieg hervorgerufen. Dass sich der Fall Haditha zu einem "irakischen My Lai" auswachsen könnte, ist allerdings noch keineswegs gewiss.

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Wien - Jetzt ist er wieder da, der Vietnam-Vergleich, vor dem sich George Bush immer so gefürchtet hatte. In seiner Ausgabe vom 27. März hatte Time exklusiv von einer Art kollektivem Amoklauf berichtet, bei dem US-Marines am 19. November 2005 im irakischen Dorf Haditha zwei Dutzend Zivilisten getötet haben sollen, darunter Frauen und Kinder.

Bild: Am 19. November 2005 werden in Haditha Leichen auf einen Lastwagen geladen (Foto: REUTERS/Hammurabi Organisation via Reuters TV/Files)

Die Story ist seither nicht mehr eingeschlafen...

Wach hält sie vor allem der 73-jährige Repräsentant John Murtha, ein Vietnamveteran, der zwar Demokrat ist, mit einer langen persönlichen Geschichte als sicherheitspolitischer Falke aber auch glaubwürdig genug, um nicht als gotteslästerlich liberaler Bush-Basher zu gelten.

Bild: Demokrat, aber kein Bush-Basher: John Murtha (Foto: EPA/MATTHEW CAVANAUGH)

Murtha wirft dem Pentagon Vertuschungsversuche vor (die interne Untersuchung der Sache ist noch im Gang), in erster Linie dient ihm die Geschichte aber als Argument dafür, dass die Amerikaner im Irak nichts zu suchen hätten und sich schleunigst zurückziehen sollten.

Seit das Gespenst der Affäre Haditha umgeht, taucht in US- und internationalen Medien - in "liberalen" natürlich öfter als in konservativen - auch wieder häufig der Name eines Dorfes auf, das tief in den Vietnamkrieg zurückführt: My Lai. Zur Erinnerung: Im Jahr 1968 hatte eine Kompanie ("Company Charlie") der US-Marines unter dem 24-jährigen Leutnant William Calley in My Lai ein Blutbad angerichtet, dem über 500 Menschen zum Opfer fielen.

Bild: Eine Überlebende des My Lai-Massakers in Vietnam (Foto: EPA PHOTO/AFP/HOANG DINH NAM/NA)

Die Armee bemühte sich, die Affäre zu vertuschen, doch es war schon zu spät. Calley kam vor ein Kriegsgericht und wurde erst zu lebenslanger, dann zu zwanzigjähriger Haft verurteilt. Nur dreieinhalb Jahre später begnadigte ihn Präsident Richard Nixon, und Calley zog sich ins Privatleben in Georgia zurück.

Die wirksamste Darstellung der Affäre lieferte damals der Journalist Seymour Hersh, dem auch die Enthüllung des Abu-Ghraib-Skandals zu verdanken ist.

Bild: Aufdecker Seymour Hersh (Foto: AP Photo/Kathy Willens)

Hersh trug nach Kräften dazu bei, dass die Stimmung erstmals gegen den Vietnamkrieg kippte. Manche Medien wie der britische Independent fühlen sich inzwischen schon zu Spekulationen angeregt, dass Haditha im Irakkrieg eine ähnliche Rolle spielen könnte wie einst My Lai in Vietnam. Das ist freilich ein Vergleich, der zu früh kommt und auch hinkt.

Denn erstens hat sich die Stimmung in der US-Öffentlichkeit schon lange gegen den Irakkrieg gedreht, sodass ein kollektiver Aufschrei über Haditha lediglich einen Trend akzentuieren würde, den es schon gibt. Noch ist aber auch unklar, welche Ausmaße die Haditha-Story überhaupt erreichen wird. Es ist nicht auszuschließen, dass sie noch "wächst" und George W. Bush weiter schwer belastet.

Bild: Eines der von Human Rights Group an die Öffentlichkeit gebrachten Fotos des Vorfalls in Haditha (Foto: AP Photo/Hammurabi Human Rights Group

Es wäre aber auch denkbar, dass die Causa schnell von einem Militärgericht abgehandelt wird und danach bald Gras über die Sache wächst. Zynisch betrachtet könnte der Widerwille der US-Öffentlichkeit, sich den schauerlichsten Details des Krieges zu stellen, zu einer solchen Entwicklung beitragen. Berichte über schwerst versehrte Kriegsheimkehrer liefern zuverlässige Umschaltimpulse beim Fernsehen, und auch über die psychischen Folgekosten des Krieges informieren die Mainstream-Medien eher rudimentär.

Von den Traumatisierungen, die die Soldaten erlitten haben müssen, kann sich der Medienkonsument dennoch unschwer einen Begriff machen. Associated Press berichtete am Dienstag, dass einer der Soldaten in Haditha, Ryan Briones (Bild), damit beauftragt wurde, die Leiche eines kleinen Mädchens aus dem Weg zu schaffen.

Bild: US-Soldat Ryan Briones  (Foto: AP Photo/Hanford Sentinel

Briones Mutter schildert die Einzelheiten: "Der Kopf des Mädchens, das er tragen musste, war weggeschossen, ihr Gehirn über seine Schuhe verspritzt." (DER STANDARD, Printausgabe, 31.5.2006)