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Auf der "Blonia Wiese" versammelten sich Schaulustige und Gläubige bereits in den Morgenstunden.

Foto: AP/PETR DAVID JOSEK
Es war der Moment, auf den alle gewartet hatten: Papst Benedikt XVI. ging durch das Auschwitz-Tor mit der berüchtigten Inschrift "Arbeit macht frei". Allein. So war es sein Wunsch. Allein als Oberhaupt der katholischen Kirche.

Allein als Deutscher. Allein als Mensch mit seinen ganz privaten Gedanken und Gefühlen. Er ging vorbei am einst elektrisch geladenen Stacheldrahtzaun, an den roten Ziegel-Baracken bis zum berüchtigten "Block 11". Hier hatten die Nazis im Zweiten Weltkrieg Tausende Widerstandskämpfer erschossen, die meisten von ihnen katholische Polen. Vor der Todeswand warteten Überlebende auf ihn.

"Ist das nicht ein Wunder, dass ich genau 64 Jahre nach der Erschießung meiner Freunde, hier im Freien stehe? Außerhalb der Todeszelle?", fragt August Kowalczyk (85), Auschwitz-Häftling mit der Nr. 6804. "Es hätte mich damals genauso erwischen können. Aber ich hatte Glück, ich konnte fliehen." Dass er einmal einem deutschen Papst die Hand reichen würde, hätte er nie für möglich gehalten. "Die Deutschen, das waren doch meine Verfolger, die Nazis. Aber dieser Deutscher ist nun Oberhaupt der katholischen Kirche."

Am Sonntagmorgen hatte Benedikt XVI. noch eine Freiluftmesse in Krakau gehalten. Knapp eine Million Gläubige waren auf die Blonia gekommen, die "große Wiese" an der Weichsel. Anders als noch in Warschau unterbrachen die meist jungen Leute die Messe immer wieder mit begeistertem Klatschen, lauten Rufen "Wir danken dir!" - oder gar "Wir lieben Dich!" Der 79-jährige Joseph Ratzinger lächelte verlegen, freute sich aber über die ungewohnten Begeisterungsstürme: Dabei forderte er wie schon bei seiner ersten Freiluftmesse in Warschau vor zwei Tagen Glaubenstreue und Standfestigkeit ein.

Die Jugendlichen in Krakau aber waren fest entschlossen, ihren "Benedetto" so zu behandeln wie einst ihren geliebten "Lolek" aus Wadowice bei Krakau. Ale der nicht wiederzuerkennende "Panzerkardianal", wie der deutsche Papst vor dessen Besuch in Polen genannt wurde, den Gläubigen zurief: "Das Krakau von Karol Wojtyla ist auch mein Krakau", kannte der Jubel keine Grenzen mehr. Ratzinger stieg von seinem Papstthron herab und drückte Hände und sagte immer wieder voller Rührung auf Polnisch: "Dziekuje. Ich danke Euch."

Auf Karols Spuren

Tags zuvor hatte Joseph Ratzinger die wichtigsten Lebensstationen Karol Woytylas vor dessen Wahl zum Papst besucht - seinen Geburtsort Wadowice bei Krakau, danach Kalwaria Zebrzydowska, die Kalvarienberge, zu denen Karol oft mit seinem Vater gepilgert war, um die Passionsspiele mitzuerleben, schließlich Lagiewniki und die Barmherzigkeits-Basilika. Hier hatte der Theologiestudent Wojtyla, der in den nur 100 Meter entfernten Solvay-Oetker-Werken Zwangsarbeit leisten musste, oft Zuflucht gesucht.

Dass Benedikt XVI. einen Tag vor seiner Visite im Nazi-KZ Auschwitz die Barmherzigkeitsbasilika besuchte, hatte für viele Polen besondere Symbolkraft. Am Samstagabend erfuhr der Papst allerdings auch, dass in Warschau der Oberrabbiner Michael Schudrich in der Nähe der Synagoge überfallen und leicht verletzt worden war. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.5.2006)