Wien - Viele Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust. Als große Tragödin des Vokalen, die mit Inbrunst den portugiesischen Weltschmerzgesang des Fado in Richtung Jazz deutet, wurde Maria João - schon damals mit Pianist Mario Laginha - in den 90er-Jahren bekannt.

Doch da war und ist immer auch die freche Göre in ihr, die sich ihre kindhaften Ausdrucksenergien in herrlich wüsten Brabbel- und geräuschhaften Keuchanfällen von der Seele rotzt, sodass daneben selbst ein vokales Riesenbaby vom Schlage David Moss' phasenweise wie ein Ausbund an Artigkeit anmutet. Und dann ist da noch das scheue Reh, das verschämte Mädchen mit dem unschuldigsten Augenaufschlag und entwaffnendstem Lächeln von überhaupt, das zu einem Gutteil Joãos starke Bühnenpräsenz ausmacht.

Mittlerweile ist dieses Jungchen, das sich im Birdland kokett mit Zöpfen und überdimensionalem Tüllrock inszenierte, längst ein Routinier. Ende Juni feiert João ihren 50. Geburtstag, und die Reife der Jahre hat es mit sich gebracht, dass die gebürtige Lissabonnerin ihr breites Vokabular flexibel zu handhaben weiß, die unterschiedlichen Stimm-Charaktere zunehmend in einem bühnenwirksamen Gesamtkunstwerk ineinander fließen lässt.

Im hauchigen Diskant, mit leichtem Beben in der Stimme, zelebrierte sie in Liedern wie Parrots and Lions oder My Skin Wort für Wort versponnene Innigkeit, mithin eine Intensität der Textvokalisierung, die phasenweise an die Eindringlichkeit Björks gemahnte. Dazwischen fügten sich knurrend-keuchende Geräuschvokalisen zu sinnlichen Puls-Sound-Gefügen und wirbelten rasante Unisono-Linien von Gesang und Klavier, an dem mit Mario Laginha erneut jene großartige Ein-Mann-Rhythmusgruppe saß, die farbigen, filigranen Anschlag mit treibender Motorik verbindet.

Auch wenn João seit mittlerweile 20 Jahren Fixstern der europäischen Jazzszene ist, auch wenn das großteils auf dem aktuellen CD-Werk Tralha dokumentierte Programm - bis hin zum musicalhaft-manierierten I Loves You, Porgy - weit gehend dem des letzten Birdland-Besuchs (2005) entsprach: Diese Sängerin versteht es immer noch, jede einzelne Note im Moment mit praller Energie aufzuladen, als würde sie die mit ihr verbundene Emotion zum ersten Mal durchleben. Kompliment! (DER STANDARD, Printausgabe vom 27./28.5.2006)