Foto: Walter Verlag
Zwischen Mord und Totschlag macht das schnelle Urteil meistens keinen Unterschied. Der Boulevard meldet Tötungsdelikte gern als Skandal. Wer einen Menschen ums Leben bringt, macht sich wichtiger, als es dem Einzelnen zusteht. Empörung ist eine verständliche Reaktion darauf. Die Gerichtsbarkeit aber hat gelernt, die einzelnen Fälle genau zu unterscheiden – nach Motivlage und psychischer Disposition, nach Zahl und Status der Opfer, nach der historischen Situation oder den privaten Begleitumständen ist Mord nicht gleich Mord und Totschlag nicht gleich Totschlag.

Die Rundfunkjournalistin Dorothee Frank hat die Komplexität dieses Phänomens zum Gegenstand eines Buchs gemacht: "Menschen töten" handelt in der Allgemeinheit, die der Titel ankündigt, genau davon, dass Menschen töten. Dorothee Frank geht dabei immer von einzelnen Fällen aus und versucht so, das gesamte Spektrum zwischenmenschlicher Zerstörungskraft in den Blick zu bekommen. Sie hört erst dort auf, wo der Krieg eine kollektive Dimension bekommt, in der einzelne Fälle nicht mehr zählen. Der amerikanische Präsident, der den Abwurf einer Bombe befiehlt, ist streng genommen auch ein Mensch, der tötet, liegt aber außerhalb der Reichweite des gewählten Ansatzes.

Nie unabwendbar

Die meisten Morde geschehen in überschaubaren Zusammenhängen. Täter und Opfer haben einander vorher gekannt. Die Tat ist selten unabwendbar, irgendwann erscheint die Situation aber ausweglos, wie im Falle von Gerald Kollmann, einem Spieler, der eines Tages einem Mann, der von ihm Geld zurückfordert, auflauert: "Es war Verzweiflung, nicht mehr wissen, wie man die Situation handhaben soll... schwer zu erklären. Da ist man in so einem Strudel, wo man sich hineindenkt und psychisch verfällt. Dass man nicht mehr klar denkt, nicht mehr rational denkt. Man denkt nur: ,Ihm gebührt ein Denkzettel.‘ Und wenn man dann dort steht, ist man sowieso auf Hundert vom Adrenalinschub her, sodass Denken eigentlich überhaupt nichts mehr bringt. Wenn man die Tat macht, indem man zuschlägt, ist man total blockiert. Da will man nur noch, daß es vorbei ist."

"Plötzlich mit dem Ergebnis konfrontiert"

Ein 19-Jähriger, der das Kleinkind seiner Freundin brutal geprügelt und tödlich verletzt hat, beschreibt die prekäre Affektlage des Täters noch eindringlicher: "Es ist ein unglaubliches Stur-Sein, geistig und verstandesmäßig Zugezimmert-Sein. Man ist in einem ganz kleinen Kästchen. Es war überhaupt kein aktives Erleben dessen, was man tut; man sieht sozusagen innerlich überhaupt nicht nach. Plötzlich ist man mit dem Endergebnis konfrontiert."

Dieser Logik der lebensentscheidenden Situation versucht Dorothee Frank in unterschiedlichen Zusammenhängen auf die Spur zu kommen. Sie hat mit einem hoch begabten Musiker gesprochen, der seine Freundin getötet hat. Erst viel später wurde ihm eine schwere Persönlichkeitsstörung attestiert, er sitzt inzwischen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Sie hat in den USA mit einem Serienkiller gesprochen, und mit einem Staatsanwalt, der zu begründen versucht, warum bestimmte Delikte die Todesstrafe verdienen. Sie sprach mit einem Kriegsverbrecher aus dem Balkankrieg und lässt auch einen Überlebenden von Srebrenica zu Wort kommen.

Frage des freien Willens

Auch der Terrorismus bleibt nicht ausgespart. Dorothee Frank hat ein Mitglied der Gruppe "Fatah Revolutionärer Rat" interviewt und berichtet von einem "Nordirischen Dialog". Dem Buch ist anzumerken, dass es auf Rundfunkreportagen zurückgeht. Die Originalzitate, die das grundlegende Material bilden, sind sicher in Verbindung mit einer persönlichen Stimme eindrücklicher als im Druck. Zudem macht die Autorin manchmal zu schnell den Schritt zur psychologischen Deutung. So problematisch und spekulativ die halbfiktionale, nachvollziehende Darstellungsform ist, die zum Beispiel Truman Capote in Kaltblütig entwickelt hat, so abstrakt bleibt letztlich der Ansatz von Dorothee Frank. Ihre Untersuchung läuft am Ende unweigerlich auf die Frage nach einem freien Willen hinaus, die in jüngerer Zeit von einigen Hirnforschern recht dogmatisch (und negativ) beantwortet wurde.

Für eine differenziertere Antwort auf diese Frage liefert Menschen töten zwar Material – es bleibt aber eher unvermittelt. Dorothee Frank hat ein Buch zwischen Narration und Theorie geschrieben und ist dabei so seriös geblieben, dass sie das Gewicht ihres Themas gar nicht richtig in den Blick bekommen hat. (Bert Rebhandl, DER STANDARD Printausgabe, 27./28.05.2006)