Offenbarungstag für den ÖGB

foto: standard/cremer
Wien - Zum ersten Mal in ihrer Geschichte muss die Gewerkschaft am Dienstag Einblick in ihr bisher bestgehütetes Geheimnis gewähren und ihre Finanzen, das heißt auch den Streikfonds, offen legen. Die Einsicht nimmt der Direktor der Nationalbank, Klaus Liebscher, mit seinen Mitarbeitern vor. Wie unangenehm dem ÖGB das ist, zeigt sich im Abmauern nach außen: Der genaue Termin der Offenlegung wurde zunächst nicht bekannt gegeben, um einen Medienrummel zu vermeiden. ÖGB-Präsident Rudolf Hundstorfer sagte am Montag einen Termin mit Gewerkschaftskollegen im Burgenland kurzfristig ab und verschob ihn auf neunten Juni. Dem Vernehmen nach hatte der ÖGB-Chef zur gleichen Zeit ein Gespräch mit Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Noch steht nicht fest, wie hoch die Belastungen des ÖGB aus dem Bawag-Desaster sind. Dadurch konnte bisher auch keine Bilanz für 2005 erstellt werden. Auf Basis der Bilanz 2004 hatte Hundstorfer von einem Einsparungsbedarf von mehr als 70 Millionen Euro gesprochen und angekündigt, der ÖGB müsse sich künftig allein aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren. Aus diesem Titel hatte der ÖGB 2004 rund 189,2 Millionen Euro eingenommen. Dem gegenüber standen Ausgaben von 265,7 Millionen Euro. Die Differenz von 76,5 Millionen Euro musste aus anderen Erträgen und Subventionen gedeckt werden.

Woraus diese bestanden, wird nun ebenfalls offen gelegt. Einige dieser Erträge sollen laut Hundstorfer weiter bestehen, etwa in Form von Miet- und Verwertungseinkünften aus Immobilien der Gewerkschaft. Auf jeden Fall einsparen wird der ÖGB im Personalbereich, der gut die Hälfte der Ausgaben ausmacht. Ob dazu ein natürlicher Abbau durch Nicht-Besetzung frei werdender Stellen ausreicht, ist allerdings fraglich. Laut ÖGB-Vizepräsident Karl Klein wird das eher nicht der Fall sein: "Mitarbeitern werden andere Jobs im ÖGB angeboten. Wer nicht flexibel genug ist, das anzunehmen, wird sich wohl verabschieden müssen."Einsparungen wird es auch bei den Pensionen geben: Auf 80 Prozent des Letztbezuges, der vielen Mitarbeitern bis jetzt sicher war, werden künftig nicht mehr allzu viele kommen.

Gleichzeitig mit der Offenlegung beginnt der ÖGB seine Organisationsreform. Bis Herbst sollen die wesentlichen Neuerungen stehen. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.5.2006)