1914 war Willi Ehrenreich 20 Jahre alt. Vor der Kamera – zum Zeitpunkt des Interviews war er 106 – trägt er ein weißes T-Shirt. Er spricht laut, langsam und klar. Seine Militärtauglichkeit feierte er mit einem ersten Rausch: "Das war was. Das erste und letzte Mal, dass ich betrunken war."

"Stirbt ein alter Mensch, verbrennt eine ganze Bibliothek": Seit zehn Jahren bittet die Filmemacherin Ruth Deutschmann unter diesem Motto Zeitzeugen vor die Kamera und lässt sie aus ihrem Leben erzählen. Über hunderte Stunden hat sie so für das österreichische Zeitzeugenarchiv gesammelt. Das Verdienst, geschriebene Geschichte lebendig zu machen, kann gar nicht genug geachtet werden. Jetzt macht Deutschmann im Auftrag von Bayern Alpha ihr Archiv dem TV-Publikum zugänglich, indem sie ein wunderbares Kompendium zusammengestellt hat, das in zwei Teilen, am Dienstag und Mittwoch, zu sehen ist.

Die Erinnerungen setzen in der Donaumonarchie an und reichen bis in die 50er- Jahre. Die Geschichten stehen für Geschichte als Schlüssel zur Bewältigung von Gegenwart und Zukunft. Sie sind spannend, lustig, traurig, manchmal entlarvend, jedenfalls aber so, dass man des Zuhörens nicht müde wird.

Deutschmann selbst hat ihr Herz längst an die Geschichtenerzähler verloren. Zu dem Projekt kam sie über ihre Großmutter. Seitdem hat sie sich, wie sie selber sagt, "lauter Großeltern geholt". (prie/DER STANDARD, Printausgabe, 23.5.2006)