Dieter Schweizer nennt es ein "Vergnügen, mit rabiaten Nachwuchsforschern zu arbeiten, denn die haben keine Zeit für Unnötiges, die wollen nur forschen".

Foto: DER STANDARD/Regine Hendrich
Das Gregor-Mendel-Institut für Molekulare Pflanzenbiologie beschäftigt sich mit unpopulären, aber relevanten Fragen. Bert Ehgartner sprach mit Dieter Schweizer, Direktor des Instituts, über die Bedeutung von Grundlagenforschung bei Pflanzen.

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STANDARD: Im Vergleich zur Krebsforschung gilt die Grundlagenforschung an Pflanzen als nicht populär. Warum hat die Akademie der Wissenschaften dennoch 2000 das Gregor-Mendel-Institut gegründet?
Schweizer: Es stimmt, Pflanzenforschung ist nicht gerade populär wegen dieser leidigen Debatte über Genmanipulation. Ein hochrangiges internationales Beratergremium hat der Akademie aber empfohlen, ihre zweite Neugründung im Jahre 2000 auf Pflanzenbiologie auszurichten. Denn sonst bliebe ein ganz wesentlicher Teil der Evolution unberücksichtigt.

STANDARD: Sie haben mit Ihrem Institut im Januar hier brandneue Räumlichkeiten am Gelände des Campus St. Marx bezogen. Was hat sich denn dadurch geändert?
Schweizer: Alles hat sich geändert. Wir haben das regelrecht ersehnt, da die sechs Gruppen zuvor in Wien verteilt waren. Das war natürlich äußerst schlecht für die interne Kommunikation. Wir haben uns vor allem darauf gefreut, dass dann alle Gruppen unter einem Dach sind, miteinander reden können und dass wir uns täglich über den Weg laufen.

STANDARD: Hat sich das in neuen Projektideen ausgewirkt?
Schweizer: Ja. Es ist Teil des Konzeptes, dass mit Hilfe der Architektur Bereiche geschaffen werden, wo sich die Mitarbeiter zwangsläufig begegnen im täglichen Arbeitsablauf. Und durch das Nebeneinander von Krebsforschern, Neuro- und Zellbiologen, aber auch Botanikern kommt es nun zu einem regen Gedankenaustausch. Grenz- und fächerüberschreitend. Vier Gruppen am GMI nehmen am GEN-AU-Programm (Anm.: Genom-Forschung in Austria) teil.

Relativ kurzfristig haben sich auch Projekte mit dem benachbarten IMBA (Anm.: Institut für Molekulare Biotechnologie) und IMP (Anm.: Institut für molekulare Pathologie) ergeben, die man nicht a priori erwarten konnte. Personen, die mit Mäusen arbeiten, zwei Stockwerke tiefer, oder mit Fliegen, ein Stockwerk tiefer, kooperieren mit unseren Wissenschaftern, die mit Pflanzen, vor allem mit der Modellpflanze Arabidopsis, der Ackerschmalwand, arbeiten.

STANDARD: Aber Pflanzen sind doch sehr unterschiedlich.
Schweizer: Ja, Pflanzen haben ihre eigene Entwicklungsgeschichte und damit ihre physiologischen und organismischen Besonderheiten. Aber Tiere, Pflanzen und Pilze haben ja alle einen gemeinsamen Ursprung und damit auch alte Gemeinsamkeiten.

Weil wir hier eingebettet sind in einen biomedizinisch ausgerichteten Campus, konzentrieren wir uns auf Fragen von allgemein-biologischem Interesse mit Querverbindungen zu Projekten an den Nachbarinstituten. Daraus folgt zwingend, dass es nicht der Zweck des Instituts sein kann, Kulturpflanzen biotechnologisch zu verändern. Wir sind auch nicht in der Pflanzenzüchtung tätig.

STANDARD: Welche Forschungsbereiche sind das?
Schweizer: Die derzeitigen Schwerpunkte am GMI sind Epigenetik und Stressantwort. Zur Epigenetik: Man hat heute die Möglichkeit, über die so genannte RNA-Interferenz in die Genregulation eines Organismus einzugreifen. Das Grundprinzip wurde bei Pflanzen entdeckt, spielt aber bei allen Eukaryoten eine Rolle bis hinauf zum Menschen. Es ist gar nicht so, dass die Pflanzenforschung nur den Landwirten oder Gärtnern zugute kommt. Das Ehepaar Marjori und Antonius Matzke, seit 2004 an unserem Institut, hat im Bereich der Epigenetik über Jahre hinweg international sehr beachtete Beiträge geleistet.

Am Anfang stand folgendes Experiment: Ein bestimmtes Gen wurde aus der Pflanze isoliert und als dritte Kopie neben den zwei elterlichen Genen in die Pflanze zurückgebracht. Die Genwirkung bei drei Kopien wurde aber nicht - wie zuerst erwartet - stärker, sondern unregelmäßig oder gar schwächer. Es handelte sich, wie wir heute wissen, um ein RNA-vermitteltes Abschalten von Genen.

STANDARD: Aber hier wurde die Pflanze doch gentechnisch manipuliert?
Schweizer: Das Hypothesen-geleitete genetische oder biochemische Experiment ist unerlässlich in der Grundlagenforschung. Ganz gleich, ob bei Tieren oder Pflanzen. Das Forscherehepaar Matzke hat mit seinem Transgen-Experiment einen natürlichen Vorgang simuliert. Es gibt nämlich Hinweise, dass das ein uralter Abwehrmechanismus gegen Schädlinge ist.

Denn die Genome der Pflanzen und Tiere wurden ja immer schon attackiert von Viren und Bakterien, von denen einige versuchen, Teile ihrer eigenen DNA in das Genom des Angegriffenen einzubauen. Ausgehend von den ersten Beobachtungen bei Pflanzen und den folgenden weltweiten intensiven Forschungen an verschiedensten Organismen führte dies zu neuen Therapiemöglichkeiten für den erkrankten Menschen. Das alles ergab sich als Nebenprodukt der Grundlagenforschung durch die Bearbeitung der Frage, wie sich eine Pflanze gegen ein RNA-Virus erfolgreich wehrt.

STANDARD: Wie steht es um die Forschungskompetenz auf diesem Gebiet am Campus im internationalen Vergleich?
Schweizer: Am Campus Vienna Biocenter sind sowohl am IMP als auch am IMBA Schwerpunkte der Epigenetikforschung etabliert. Und am Gregor-Mendel-Institut sind gleich drei Gruppen in dieses Thema vertieft.

STANDARD: Welche Bedeutung haben denn die Schädlinge, also die Viren oder Bakterien, als Motor der Evolution?
Schweizer: Ich bin Neo-Darwinist, und so fällt die Antwort aus. Die Evolution wird ja angetrieben durch die permanente Fehlerhaftigkeit der Reproduktion. Die hieraus resultierende genetische Vielfalt in einer natürlichen Population ist das Material der Auswahl, der Selektion. Das Erbgut der geeignetsten Individuen wird an die Nachkommenschaft vertikal weitergegeben. Das ist Evolution. Es können genetische Elemente aber selten auch auf kurzem Wege horizontal übertragen werden. Das ist sozusagen die Würze, der Pfeffer der Evolution.

STANDARD: Sie haben den Vorschlag gemacht, den Begabtesten der Jungen schon früh so viel Forschungsfreiheit zu geben wie möglich.
Schweizer: Ja, am Gregor-Mendel-Institut ist das Alter der Gruppenleiter im Durchschnitt vergleichsweise niedrig, und das Institut hat auch einen hohen Anteil von Forscherinnen in leitender Position. Talentierte junge Leute haben den Kopf voll mit eigenen Ideen. Der platzt fast. Die sind überzeugt, dass sie gescheiter und kreativer sind als ihr Boss. Und das sind genau die Leute, die wir haben wollen.

Es ist ein Vergnügen, mit diesen rabiaten Nachwuchsforschern zu arbeiten, denn die haben keine Zeit für Unnötiges, die wollen nur forschen. Wir suchen sie auf dem Wege internationaler Ausschreibungen. Aber wir geben dabei kein spezifisches Thema vor. Wir suchen einfach die Besten. (DER STANDARD; Printausgabe, 17.5.2006)