Roland Koch, einer der ersten Charakterdarsteller des deutschen Sprachraums: in Zürich ausgebildet, mit Andreas Kriegenburg an das Burgtheater gekommen, heute ein Stützpfeiler in einem Riesenensemble.

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Wien - Michail Bulgakows mysteriöser Heiligenroman Der Meister und Margarita (entstanden in den Jahren von 1928 bis 1940) enthält Szenen prallen, höhnischen Theaters. Niemand Geringerer als der Teufel, ein gewisser Monsieur Voland, beehrt das sozialistische Moskau: ein schäbiger Schwarzmagier, in dessen Gefolge rätselhafte Todesfälle passieren, der die arglosen Vertreter des dialektischen Materialismus verhöhnt und sie reihenweise in die Klapsmühle jagt. Die Sowjetunion steht buchstäblich Kopf. Im nämlichen Irrenhaus ist aber auch ein anonymer Evangelist untergekommen: Er hat Christi Leidensgeschichte neu geschrieben.

Bulgakows vielhundertseitiger Prosa-Irrsinn, der ab übermorgen, Freitag, im Kasino am Schwarzenbergplatz (20 Uhr) zu bestaunen ist, wäre der klassische Fall für ein Luftburgtheater. Oder, wie der Burgschauspieler Roland Koch sagt: "Wenn man versuchen wollte, den Roman zu bebildern - könnte man nur das ganze Burgtheater hernehmen, vielleicht noch ganz Moskau dazuengagieren, und man versucht, eine rund sechsstündige Riesenzauberei zu entfachen. Das wäre eine Variante. Nur scheitert man dann an der Maschine: Ihr Knarren und Knirschen wird zu laut." Der Roman beschreibt riesige Bewegungen, nur liegt der Witz in der Ironie, in den delirierenden Details, die er en masse enthält. "Man kann sich nie fest- oder einlesen", berichtet Koch. Der gebürtige Schweizer, '99 im Gefolge des inszenierenden Brachialmanieristen Andreas Kriegenburg an die Burg gekommen, bricht mit einer nur sechsköpfigen Mimenschar ins Kasino auf, um Meister und Margarita in gerade einmal zwei Stunden herunterzuerzählen (Regie: Niklaus Helbling).

Vehikel fürs Fliegen Ein so genanntes Ding der Unmöglichkeit - sieht man von einer früheren Unternehmung Frank Castorfs ab, der seine Volksbühnenschauspieler auf Bulgakow gleichsam postsozialistisch einschwor und sie durch ein deutlich zeitgenössisches Spanplatten-Moskau der erniedrigten Konsumdienstleister hetzte. Koch, ein nervöser Endvierziger, sagt: "Entweder man richtet den Stoff mit der ganz großen Kelle an - oder man macht so wenig wie möglich und bemächtigt sich des Irrsinns von hinten." Wie können sechs Schauspieler - Christiane von Poelnitz, Stefanie Dvorak, Daniel Jesch, Dietmar König, Paul Wolff-Plotegg und Koch - das Vehikel zum Fliegen bringen? Man geht bei den Profilern in die Schule, berichtet Koch. An der Schultafel wird ein Kurs für gelehrige Polizeischüler abgehalten. Wie sind die mysteriösen Todesfälle, die ganz Moskau erschüttern, zu erklären?

Profiler wie der medienauffällige Thomas Müller sind die Gesellschaftsprognostiker unserer Tage. Profiler erforschen die Freisetzung krimineller Energien, und sie beziehen ausnahmslos alle Unbescholtenen in ihr kriminologisches Kalkül ein. Koch sagt: "Bei uns beginnen die Bulgakow-Figuren, von den Polizeischülern und -ausbildnern allmählich Besitz zu ergreifen. Sie fangen an, einander mit Ausschmückungen und Maskenspielen zu übertrumpfen."

Roland Koch selbst wird unter anderem den Teufel geben. Immerhin müssen sich die wackeren Ordnungshüter zurückimaginieren in das Jerusalem des kopfwehgeplagten Pontius Pilatus. Koch sagt, die viele Wiener so verstörenden Improvisationsübungen des nach Hamburg und München weitergezogenen Kriegenburg-Theaters hätten ihn gelehrt, natürlichen Kreativitätshemmnissen entspannt zu begegnen: "Das ,Freigeben' von Text war die Möglichkeit, Widerstände zu umgehen und Fantasie freizusetzen." Inzwischen hat Koch einmal Shakespeare inszeniert (Was ihr wollt).

Koch, aus dem Aargau (CH) stammend, heute Burg-Ensemble-Vertreter, hat sich von sämtlichen Schulen und Stilen rundum freigespielt. Er müsse nicht immer den Protagonisten geben, sagt er.

Die Burg werde in Deutschland verschiedentlich verhöhnt dafür, ein unbeweglicher "Tanker" zu sein. Darin erblicke er aber gerade die Kostbarkeit des vergleichsweise größten Instituts: "In diesem Licht muss man auch die Bachler-Nachfolgefrage betrachten: Es muss jemand Direktor werden, der lustvoll den ,kleinen König' gibt." In einem solchen Königreich sei eitel Platz für alle und alles: "Und selbst wenn wir ein- mal scheitern, sollte man als Zuschauer sagen können: Zum Glück haben wir's gesehen!" (DER STANDARD, Printausgabe, 10.5.2006)