Wien - Im Interview mit der morgen, Mittwoch, erscheinenden "Falter" nimmt Gewerkschafts-Präsident Rudolf Hundstorfer zum umstrittenen Bawag-Rettungspaket der Regierung Stellung: "Der Bundeskanzler hat uns nicht über den Tisch gezogen, sondern der ÖGB und die Bawag haben Fakten geliefert, die uns in diese Situation gebracht haben. Punkt. Wir sind selber schuld. Dass ein Bundeskanzler dabei versucht, für sich zu punkten, ist logisch, das würde jeder machen. Hätte sich die Bawag nicht auf karibische und diverse andere Geschäfte eingelassen, müssten wir die Regierung jetzt nicht um Hilfe bitten."

Haberzettl kritisiert Regierung

Im Gegensatz zu Hundstorfer kritisiert der Wilhelm Haberzettl, Chef der Eisenbahnergewerkschaft, die Regierung in Sachen Bawag: "Die Vorgangsweise der Regierung bei der Bawag-Haftung ordne ich zwischen Erpressung und Demütigung ein. Ich habe das Gefühl, dass es sich um keine Verhandlungen, sondern um ein Diktat handelte." Entmutigen lassen will sich Haberzettl aber nicht: "Der Streikfonds kümmert mich wenig. In Wirklichkeit brauche ich 100 Leute, um die Verkehrswege und damit die Republik lahm zulegen. Die paar wilden Hunde unter den Fernfahrern finde ich."

"Struktur entspricht nicht der heutigen Arbeitswelt"

Zur ÖGB-Krise meint Hundstorfer: "Im ÖGB hat sich eine gewisse Mentalität entwickelt, lästige Fragen abzublocken. Ich bin da aber anders aufgewachsen." Und: "Unsere Struktur entspricht nicht mehr der heutigen Arbeitswelt. Wir haben zu den Beschäftigten in vielen Mittel- und Kleinbetrieben keinen Kontakt. Beim ÖGB gibt es niemanden, der diese Unternehmen abklappert, um für die Gewerkschaft zu werben. Wir brauchen Grätzelbetreuer, die sich direkt um die arbeitenden Menschen kümmern. Außerdem müssen wir auch enger mit den NGOs zusammenarbeiten. Die Zivilgesellschaft hat sich verändert, gewisse Bindungen, auch zur Gewerkschaft, existieren nicht mehr. Da ist aber schon einiges passiert. Die Globalisierungskritiker von Attac haben ihr Büro im Haus der Eisenbahner – das hat eine gewisse Symbolik."

Weiters kündigt Hundstorfer an, nach den kommenden Wahlen in den Nationalrat einzuziehen: "Wenn der Wähler will, werde ich künftig im Nationalrat sitzen." Zu seiner Zukunft beim ÖGB sagt er: "Man bekommt Bauchweh, man kriegt Wut, man hat schlaflose Nächte. Zwischenzeitlich würde ich am liebsten meinen Zorn heraus schreien. Aber ich habe nur eine einzige Chance: Durch, einfach durch! Würde ich das Handtuch werfen, wäre der Trümmerhaufen nur noch größer. Deswegen muss ich marschieren, aufräumen, wegräumen. (...)Es geht jetzt darum, alles neu zu ordnen, und das kann ein erfahrener Leithammel ganz gut. Beim Bundeskongress im Jänner 2007 werde ich deshalb für eine weitere Funktionsperiode kandidieren."

Über den Grund für die Entlassung von Ex-ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch will Hundstorfer nur über Gerichte sprechen. Nur so viel lässt sich sein Nachfolger entlocken: "Verzetnitsch lebt in einer eigenen Welt, die er sich selbst gebastelt hat. Er ist felsenfest davon überzeugt, richtig gehandelt zu haben."

Reformgruppe startet am 23. Mai

Am 23. Mai um 13.00 Uhr startet offiziell die Reformdiskussion im ÖGB. An diesem Tag tritt erstmals die Reformgruppe zusammen, um über die weitere Entwicklung nach der Bawag-Krise zu beraten. Den Auftakt machen die Vorsitzenden der einzelnen Gewerkschaften, gab Hundstorfer Dienstag in der Präsidentschaftskanzlei bekannt. Er hatte dort Bundespräsident Heinz Fischer über die weiteren Schritte informiert.

Fischer betonte sein "Interesse, dass diese Bemühungen in Gang kommen" und positive Ergebnisse bringen. Denn "funktionierende starke Gewerkschaften mit hoher Akzeptanz in der Bevölkerung sind ein wichtiges Element des politischen Systems". Deshalb bekenne er sich auch zum "österreichischen überparteilichen Gewerkschaftsbund".

Hundstorfer geht davon aus, dass "wir jetzt alles wissen" in der Bawag-Affäre. Wobei er aber "nichts ausschließen" wolle - gebe es doch Fälle wie den der Privatstiftung Desana. Diese Stiftung hatte Ex-Finanzreferent Günter Weninger quasi im Alleingang gegründet, im ÖGB habe es keinerlei Unterlagen darüber gegeben. (red/APA)