Was war sie nicht gescholten worden. Wie könne sich eine deklarierte Feministin nur für eine konservative Kandidatin stark machen, zeterte es aus dem linken und liberalen Lager, als Alice Schwarzer im Wahlkampf ihre Sympathien für Angela Merkel kund tat.

Knapp sechs Monate ist Deutschland nun Kanzlerinnen-Land - Zeit für Schwarzer, vor der Auslandspresse eine erste Bilanz zu ziehen. "Ich bin ja eine politische Person im außerparlamentarischen Raum", beschreibt die Herausgeberin des Magazins Emma ihre Rolle.

Lob in bestimmten Punkten

Zunächst gibt es Lob. "Angenehm berührt" sei sie von Merkels "sachlichem und kollegialen Stil". Und auch das neue Elterngeld samt den zwei Vätermonaten, das Merkel und ihre umstrittene Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf den Weg gebracht haben, "unterschreibe ich voll." Schwarzer: "Das war schon eine große Überraschung, dass ausgerechnet eine konservative Ministerin das macht." Zumal ja die SPD-Frauen ähnliche Pläne in der Schublade hatten. "Wagen Sie es doch, hab ich zu denen gesagt", erinnert sich Schwarzer. Deren Antwort: "Geht nicht, wir haben totalen Gegenwind von unseren Männern."

Doch jetzt sieht Schwarzer neue Zeiten heranbrechen: "Nicht nur feministische Frauen werden von den Männern immer stärker Beteiligung an der Kinderbetreuung einfordern." Alles paletti also in Deutschland?

Kein Ton zur Frauenpolitik

Natürlich nicht. Obwohl nun eine Frau im Kanzleramt sitzt, ist Deutschland noch längst kein feministisches Wunderland. Es stört Schwarzer, dass von der Leyen zwar Familienpolitik macht, aber "von ihr noch kein Ton zur Frauenpolitik kam." So habe die rot-grüne Regierung aus "falsch verstandener Liberalität" die Prostitution legalisiert, die doch nie und nimmer ein Job wie jeder andere sein könne. "Frauen brauchen viel mehr Hilfe zum Ausstieg", appelliert Schwarzer an Merkel und von der Leyen.

Auch das Elterngeld könne nur ein erster Schritt gewesen sein, mahnt sie. Denn nach 14 Monaten häuslicher Betreuung müsse der Nachwuchs ja im Kindergarten untergebracht werden. Schwarzers Forderung für die Finanzierung von mehr Kindergärten: "Wir müssen das Familiensplitting abschaffen, denn das fördert die Hausfrauen-Ehe." Da das gemeinsam zu versteuernde Einkommen eines Ehepaares zuerst halbiert (gesplittet) und dann besteuert wird, steigen Paare, bei denen der Mann viel und die Frau nichts verdient, besonders gut aus. "Der Staat lässt sich das jährlich 23 Milliarden Euro kosten. Acht Milliarden Euro schenkt er Ehepaaren, die nicht mal Kinder haben", kritisiert Schwarzer.

Halbe Welt

Bei den vielen Arbeitslosen in Deutschland sei es doch ganz gut, wenn Frauen wenigstens den Beruf Mutter ausüben könnten, meint dann ein finnischer Kollege. Aber da lächelt Schwarzer nur mitleidig und sagt: "Wir Frauen haben Anspruch auf die halbe Welt und den Männern treten wir gerne das halbe Haus ab." (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 5.5. 2006)