Firmen, die ihre Beiträge nicht zahlen, immmer weniger Beschäftigte, die das Gesundheitssystem für alle finanzieren müssen: Das kann sich nicht ausgehen, so der Befund eines Experten-Roundtables von STANDARD und Consulting AG.


Wien - Krank werden kann jeder, nicht nur Menschen, die in Lohn und Brot stehen. Aber das Gesundwerden aller wird nur aus der Lohnsumme finanziert – und die wird in Zukunft sicher nicht für alle reichen. Das war zusammengefasst der Befund der Expertenrunde, die bei einem von Standard und Consulting AG, der führenden Unternehmensberatung im Gesundheitswesen, organisierten Gesundheits-Roundtable über nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens diskutierte. Moderiert haben die Consulting-Geschäftsführer Hans-Jörg Steffl und Robert König.

Dass das Gesundheitssystem mehr Geld braucht, ist für Hauptverbandsvorstand Erich Laminger unumstritten: "Es ist eine Tatsache, dass speziell die Gebietskrankenkassen in Defiziten stecken. Das ist kein Vorwurf an die Kassen, sondern zeigt, dass wir dort tatsächlich zu wenig Geld haben. Das System muss das Geld, das ihm zusteht, bekommen."

Firmen als Beitragspreller

Woher aber nehmen? Pfizer-Austria-Chef Andreas Penk sprach sich als Erster in der Runde für einen Systemumbruch aus: "Die Finanzierung muss langfristig von der klassischen Beschäftigung weggeschoben werden. Die Art der Beschäftigung ändert sich rasant." Derzeit zahlen Angestellte 3,75 Prozent ihres Bruttogehalts (3750 Euro Höchstbeitragsgrundlage) Krankenversicherung, ihre Dienstgeber gleich viel (Arbeiter 3,95 %, DG 3,55 %).

Zudem werde die demografische Entwicklung drastische Folgen für das Gesundheitssystem haben, warnte Penk: "Das Einzige, wo Europa 2020 führend sein wird, ist der Anteil alter Menschen. Wir werden das nur bewältigen, wenn wir Gesundheit als Hebel einsetzen."

Auch die Wiener Stadträtin für Gesundheit und Soziales, Renate Brauner (SP), visiert "mittelfristig ein generelles Loslösen der Gesundheitsfinanzierung von der Lohnsumme" an, um das "exzellente Gesundheitssystem zu erhalten. Wir müssen weg von der ausschließlichen Konzentration auf die Beschäftigung als Berechnungsbasis für die Beiträge".

Eine Linie, die sich mit jener der Wiener Gebietskrankenkasse deckt. Sprecher Jan Pazourek sieht ebenfalls in der "Abhängigkeit der Krankenversicherungseinnahmen von der sinkenden Lohnquote" ein Hauptproblem der finanzmaroden Kassen. Aber ihnen wäre schon sehr geholfen, wenn sie von den Unternehmen das Geld bekämen, das sie bekommen müssten. In diesem Punkt waren sich Laminger, Pazourek und Gesundheitsministerin Maria Rauch- Kallat (VP) einig. "Wir haben die Kontrolle verstärkt und wollen Missbrauchsmöglichkeiten für zahlungsunwillige Firmen so eng wie möglich halten. Würden die alle zahlen, hätte die Sozialversicherung kein Problem, so aber sind ja die blöd, die zahlen", sagte Rauch-Kallat.

Faktum ist, dass die Krankenkassen gut im Plus wären, wenn alle Firmen ihre Beiträge – wie jeder Arbeitnehmer das selbstverständlich tun muss – abgeliefert hätten. Wären die für 2005 "uneinbringlichen Beiträge" in Höhe von 155 Millionen Euro "eingebracht" worden, hätten die Kassen kein Minus von 32 Millionen gehabt, sondern ein sattes 123 Millionen-Plus.

Minus hin oder her, für Wiens Ärztekammerchef Walter Dorner haben diese Begriffe in der Gesundheitsdebatte nichts verloren. "Das ist kein Defizit, es ist ein Abgang, der notwendig ist, der für Gesundheit ausgegeben wird." Mit Brauners "systemsprengender Vision" könnte das noch mehr werden: "Pflegevorsorge soll Teil des allgemeinen Sozialversicherungssystems werden. Ich sehe nicht ein, dass jemand, der ,nur‘ gepflegt wird, aus dem ASVG fällt." (DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2006)