Jeff Porter, U-Bahn-Fahrer und Gemeinderat der Labour-Partei, beim Verteilen von Wahlzetteln in Becontree, einer Londoner Satellitenstadt, in der sich die Rechtsradikalen große Chancen ausrechnen.

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Nick Griffin, Chef der rechtsextremen BNP, setzt auf den Sieg seiner Parteifreunde in Londons Vorstädten.

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Die Aprilsonne blinzelt, am Ardent Crescent platzen die Knospen, keuchend gräbt Peter Pryer seinen Vorgarten um. Was heißt Vorgarten, ein winziges Handtuch ist das, gerade richtig für einen Greis mit nachlassenden Kräften. Gern legt der Alte den Spaten weg, froh über die Gelegenheit zum Schwatzen. Nach drei Sätzen erzählt er von früher, von den Nachbarn, vom Krieg.

"Da drüben. Der Bursche dort hat in Monte Cassino gekämpft. Hier nebenan, der Junge ist am D-Day gefallen." Pryer lebte schon hier, da begannen direkt hinterm Ardent Crescent die Wiesen, die bis hinunter zum Ufer der Themse reichten. 1931 klotzte der Autogigant Ford in Dagenham, gleich um die Ecke, eine gigantische Fabrik an die Themse. "Wir waren Autostadt", sagt Peter Pryer.

Die alte Welt, um die er so wehmütig trauert, gibt es nicht mehr. Das Ford-Werk, wo noch vor zehn Jahren neuntausend Arbeiter am Fließband standen, stellt keine Autos mehr her, nur noch Motoren, wofür 2300 Beschäftigte reichen. Pryers alte Welt, sie war weiß. Die neue Welt, das sind die Schwarzen.

Einwanderer aus Afrika, aus Nigeria, Ghana, Kenia vor allem, ziehen seit fünf, sechs Jahren verstärkt nach Becontree. Hier draußen sind die Mieten noch billig, billiger sogar als drinnen in London im einst so armen East End. Laut Statistik stellen ethnische Minderheiten im Bezirk Barking, zu dem auch Becontree gehört, 14 Prozent aller Bewohner. Das ist normal für eine Weltmetropole, hier draußen aber ist es relativ neu.

Heute, Donnerstag, wählt Becontree einen neuen Gemeinderat, zeitgleich mit den meisten englischen Städten. Hier, im Schrebergartenambiente des Londoner Ostens, wollen die Neonazis der British National Party (BNP) zweitstärkste Partei werden, nach Labour, die seit Kriegsende haushoch dominiert.

"Ich überleg es mir"

"Ich hab nie BNP gewählt. Diesmal überleg ich es mir", sagt Pryer, der Greis. Es sind Sätze wie diese, die Jeff Porter auf Trab bringen. Der Labour- Kandidat läuft von Tür zu Tür, auf Handzetteln verspricht er noch mehr Polizeipatrouillen, mehr Straßenkehrer, zusätzliche Technik, um die Graffiti von den Wänden zu waschen.

Im Hauptberuf ist Jeff Porter U-Bahn-Fahrer. Am 7. Juli 2005 fuhr er just in dem Moment auf die Station Edgware Road zu, als im entgegenkommenden Zug ein Sprengsatz hochging. Die Neonazis bereiten ihm im Augenblick größere Sorgen. Und dass Tony Blair sich zu wenig um die alten Arbeiter kümmert.

Blair und Porter sind in derselben Partei, Premierminister der eine, ehrenamtlicher Ratsherr der andere. "Blair macht mir das Leben schwer", brummt der Mann von der Basis. "Er redet schlicht an meinen Wählern vorbei." Anderswo mag England boomen, von den Reformen zehren. In Becontree aber haben die Straßen Schlaglöcher, türmt sich in Dreckecken der Müll, fühlen sich Stammwähler der Labour-Riege im Stich gelassen.

Der Mann, der von den giftigen Gerüchten um angebliche Staatshilfen für die Afrikaner zehrt, heißt Richard Barnbrook und stellt sich vor als "Visionskünstler, Bildhauer, Lehrer und Nationalist". Vor zwölf Monaten, beim Parlamentsvotum, holte er im Wahlbezirk Barking 17 Prozent der Stimmen. Jetzt will er ins Rathaus.

Der 45-Jährige hat Vorlesungen in Kunstgeschichte gehalten, am Royal College of Arts in Kensington, Londons Museumsviertel. Die dumpfen Sprüche, mit denen seine politischen Vorväter, die Rassisten der Nationalen Front, in den Siebzigern aufwarteten, lässt er im Sack. Barnbrook brüllt nicht "Britannien den Weißen!". Er sagt: "Die eingesessene Bevölkerung, die seit 30 oder 40 Jahren hier lebt, sollte an erster Stelle stehen, egal, welche Hautfarbe sie hat." Am Ende läuft es aufs Gleiche hinaus. (DER STANDARD, Print, 4.5.2006)