Ein kleiner Gangster muss plötzlich mit allerhand fremden Utensilien hantieren: Gavin Hoods "Tsotsi" erzählt eine Entwicklungsgeschichte mit Platz für Optimismus.

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Wien - Es stinkt aus der Hütte von Tsotsi, einem bekannten Ganoven in den Townships von Johannesburg. Die Freunde rümpfen die Nase und können sich keinen Reim auf die Sache machen. Was geht hier vor? Nichts, nichts, nur ein kleines Verdauungsproblem.

Wenn er mit der Wahrheit herausrückte, wäre das zu lächerlich. Denn es ist nicht Tsotsi selbst, der so übel riecht. Ein Baby hat in die Windeln gemacht - für einen abgebrühten Bandenchef ein nahezu unlösbares Problem.

Deswegen stinkt es aus der Hütte von Tsotsi. Sein Name ist eigentlich kein Eigenname, sondern ein Ehrentitel, wie man ihn nur auf der Straße erwirbt: Tsotsi bedeutet "Schläger" oder "Gangster". Der eine Tsotsi, der im gleichnamigen südafrikanischen Film von Gavin Hood die Hauptfigur ist, steht also für viele jugendliche Delinquenten in den Armenvierteln von Johannesburg.

Das Baby hat er am Hals, weil er beim Diebstahl eines Autos nicht auf den Rücksitz geschaut hat. Es muss versorgt werden, und Tsotsi macht zum ersten Mal die Erfahrung, dass es nicht immer nur darum geht, sich in feindseliger Umgebung durchzusetzen.

Tsotsi hat heuer den Oscar für den besten ausländischen Film erhalten. Schon vorher war er in die halbe Welt verkauft. Tsotsi weist einige deutliche Parallelen zu City of God auf, dem Kassenschlager aus den Favelas von Rio de Janeiro. Während dort die Geschichte zielstrebig auf einen Abgrund zusteuert, hat Gavin Hoods Verfilmung des einzigen Romans von Athol Fugard jedoch die optimistische Perspektive einer Entwicklung des jugendlichen Helden.

"Sie können dabei ruhig an die Reise des Helden denken", sagt Gavin Hood im Gespräch mit dem STANDARD. Er spielt damit auf die Theorie des Religionsgelehrten Joseph Campbell an, die besagt, dass ein mythischer Held immer verschiedene Stationen und Begegnungen auf seiner Reise zu sich selbst absolvieren muss.

Tsotsi muss die Traumata seiner Kindheit begreifen lernen - es sind auch die Traumata der südafrikanischen Nation, deren Sozialordnung noch immer die Spuren der Apartheid erkennen lässt. Das Baby entstammt der wachsenden schwarzen Mittelschicht. "Schwarz und Weiß sind Begriffe, die wir in Südafrika ungern hören", korrigiert Hood. "Wir haben so viele Landessprachen und Völker, dass Südafrikaner immer noch die genaueste Bezeichnung ist."

Lokaler Beigeschmack

Die populäre Kultur des "schwarzen" Südafrika ist in Tsotsi wichtig. Kwaito heißt die Musik aus den Townships, zu der Tsotsi (Presely Chweneyagae) coole Bewegungen probt. Die Musik "fügt meinem Film eine Menge Flavour hinzu". Hood unterscheidet genau zwischen Substanz und Zutaten. Sein Lieblingswort ist "guts", der "Bauch", aus dem heraus er Entscheidungen trifft. Er will das Universale an der Geschichte herausarbeiten, die lokale Kultur sorgt für den Beigeschmack.

"Ich wollte keinen Film über die Gewalt in Südafrika machen. Mir geht es um eine Erfahrung, die man in jeder großen Stadt der Welt ähnlich machen kann. Man muss sich seinen Geistern stellen." Tsotsi macht mit dem Baby die Erfahrungen, die von der Natur vorgesehen sind: Er entwickelt einen Beschützerinstinkt, findet eine Ersatzmutter (Terry Pheto) und erkennt allmählich das kleine Kind, das in ihm selbst steckt.

Hood reagiert leicht gereizt auf jede Andeutung, er hätte Tsotsi allzu direkt auf die visuellen Konventionen des neueren Weltkinos zugeschnitten - mit ausgeprägter Farbdramaturgie und ethnischem Soundtrack, aber mit einem eher generalisierenden Blick auf die Verhältnisse in Johannesburg:

"Was ist falsch, wenn ein Film in der ganzen Welt zu Hause sein möchte? Ich habe darauf geachtet, dass ich Tsotsi in jeder Einstellung in die Augen sehen kann." Als nächstes Projekt plant Gavin Hood einen Film zwischen Ägypten und Amerika. Er hat da so ein Bauchgefühl, das könnte etwas werden. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 5. 2006)