Während die neuen "Multimedia Computer" im Taschenformat nahezu alles können, müssen sie sich auch dem Vergleich stellen, ob sie es auch so gut können, wie wir das heute von ausgereiften Kameras, iPods, Navigationssystemen erwarten - und ob die Kombination in einem einzelnen Teil auch wirklich ein Vorteil ist.

Bild: Hersteller
Nokia, unangefochten der weltgrößte Handyhersteller, hat diese Woche überraschende Worte in den Mund genommen: Hinfort sollen seine Kunden seine Top-Handys nicht mehr als Handys, sondern als Multimedia-Computer ansehen. Denn es sind dienstbare Geister für alle Lebenslagen, vom schnellen Foto über Musik bis hin zu E-Mail und Internetzugang.

Allzweckdingsbums für jede Lebenslage

Richtig, das sind sie, wenn man "Computer" wie Nokias Nseries betrachtet. Sie sind quasi ein Allzweckdingsbums für jede Lebenslage, ob man jetzt unterwegs seine Mails braucht, den Weg nach Tipperary sucht, dort einen Schnappschuss vom Rock of Cashel machen will und dabei den Song von Tiny Tim hören will.

Ein Vorteil?

Aber während diese "Multimedia Computer" das alles können, müssen sie sich auch dem Vergleich stellen, ob sie es auch so gut können, wie wir das heute von ausgereiften Kameras, iPods, Navigationssystemen erwarten - und ob die Kombination in einem einzelnen Teil auch wirklich ein Vorteil ist.

Vielseitigkeit

Fangen wir bei Letzterem an, denn hier punkten High-End-Handys am meisten. Vor allem auf Reisen, wenn Gewicht und Volumen zählt; noch dazu zieht jedes Gerät weitere nach sich - Netzteile, Speicherkarten, Zubehör. Minimale Belastung, maximale Vielseitigkeit: Diesen Wettbewerb gewinnt zum Beispiel das (kommende) N93, das auch als "richtige" Videokamera glänzen soll.

Preis ist hoch

Aber der Preis für diese Bequemlichkeit ist erheblich. Davon lenken Nokia wie andere Hersteller gerne ab, indem sie auf ihren eigenen Fortschritt (z. B. Auflösung bei Handycams) hinweisen statt sich mit dem Fortschritt der Spezialisten zu vergleichen. Die jüngste Handygeneration hat Kameras mit drei Megapixel Auflösung, bessere Objektive (z. B. Zeissoptik) und eine wachsende Reihe von Funktionen. Aber keine davon reicht auch nur an das mittlere Preissegment von Kompaktkameras heran, was sich vor allem dann schmerzhaft bemerkbar macht, wenn man nicht nur unbewegte Objekte in gutem Licht fotografieren will.

Nachteile

Um diese Nachteile zumindest teilweise auszugleichen, beginnen sich auch die "Multimedia-Computer" zu spezialisieren: Das N93 beispielsweise auf Video, das N92 auf digitalen TV-Empfang, das N91 auf Musik, das N90 auf Fotografie, nach den Neigungen ihrer potenziellen Benutzer. Nebeneffekt: Die anderen Funktionen müssen etwas zurücktreten, schneiden demnach im Vergleich mit speziellen Geräten entsprechend schlechter ab.

Bedienung

Dazu kommen andere leichte Nachteile, etwa die relative Trägheit bei der Bedienung von Programmen, oder die Mühsal kleiner Tastaturen, mit denen wohl die Gameboy-Generation leichter zurecht kommt als ihre Oldies.

Entscheidung

Vor dieser Entscheidung steht man schließlich als Benutzer, und die Alleskönner nehmen sie uns nicht ab. Bei dem, was wir gern und oft tun, werden wir weiterhin von spezialisierten Geräten besser bedient; für die gelegentliche Funktion reicht das High-End-Handy. Dem sehr talentierten Kind, das vielleicht in ein paar Jahren tatsächlich zu einem Meister jeder Gattung heranreicht, einen neuen Namen zu geben, kann darüber nicht hinwegtäuschen. (Der Standard Printausgabe, 27./28.4.2006, Helmut Spudich)