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Nicht nur Hightech-Großprogramme (heir die Montage des A380 nahe Touslouse) werden gefördert.

Foto: AP/Christophe Ena
Paris - Der französische Präsident Jacques Chirac lancierte die "Agentur für industrielle Innovation" im vergangenen Jahr mit einem Startkapital von 1,7 Milliarden Euro. Die AII soll insbesondere die unternehmerische Initiative im Bereich der Spitzentechnologie erhöhen, indem der Staat einen Teil des Risikos übernimmt.

Die Idee der AII geht auf Jean-Louis Beffa zurück, den Vorsitzenden des Glas- und Baumaterialkonzerns Saint-Gobain. Seine von Chirac eingesetzte Kommission rügte vor allem, die in Europa generell abnehmenden Forschungs-und Entwicklungsausgaben versickerten teilweise in "schwerindustriellen" Bereichen wie Elektronik, Automobil und Chemie. In der Spitzentechnologie erhielten nur einzelne Sparten wie die Luft-und Raumfahrt genügend Gelder; bei Biotechnologie, Halbleitern oder Informatik besäßen die USA indes einen klaren Vorsprung.

Beffa predigt aber nicht etwa die Übernahme des amerikanischen Ansatzes. Wenn schon, dann des japanischen: Tokio koordiniere, ja stimuliere Forschung und Entwicklung über öffentliche, nicht wie die USA über private Gremien. Das liege näher beim europäischen Verständnis. Bei der allgemeinen Marktöffnung müsse Frankreich indessen Abschied nehmen von der Politik der "grands projets" (TGV, Ariane-Trägerrakete, Airbus etc.) und eher spezifische Hightech-Bereiche ins Auge fassen. Dazu gehören Beffa zufolge die Infektions-und Alterskrankheiten von Aids bis Alzheimer, neue Energieformen wie Brennstoffbatterien oder Sonnenkraft, ferner Hybridfahrzeuge und Bio-Treibstoffe, Luftraumkontrolltechnologie oder die Breitbandübermittlung.

Ausgewählt wurden nun dieser Tage unter Aufsicht Chiracs eine Hand voll Projekte, die schon 2006 Unterstützungsgelder erhalten sollen. Darunter sind Vorhaben für TV-Empfang auf Mobiltelefonen, für eine multimediale Internet-Suchmaschine als Alternative zu Google, für die Wiederverwertung von Getreideabfällen oder für Öko-Wohnhäuser.

Eigeninitiative fördern

In diesen forschungsintensiven Sparten bewegen sich die Budgets in der Größenordnung von 20 bis 80 Millionen Euro. Für Einzelunternehmer ist das aber immer noch zu viel, weshalb die AII sie subventioniert - aber "nur" zur Hälfte, um die Eigeninitiative zu stimulieren und überdies zu verhindern, dass der Staat Geld für Projekte zur Verfügung stellt, die ohnehin verwirklicht worden wären.

Der Haupteinwand gegen die AII gilt dem Umstand, dass die europäische Dimension ausgeblendet wird. Beffa selbst hätte es begrüßt, wenn Brüssel eine solche Agentur auf europäischer Ebene formiert hätte. Die Regierung in Paris, die aber derzeit nicht zuletzt aus Wahlrücksichten dem "ökonomischen Patriotismus" huldigt, hält die industriepolitischen Ansätze der EU-Staaten aber für zu unterschiedlich, als dass ihr ein gebündeltes Vorgehen möglich schiene. Auch wenn sie das offiziell nicht so klar sagt.

Industriepolitik der besonderen Art betreibt Frankreich auch mit seinen "Wettbewerbspolen". Ziel dieser "pôles de compétitivité" ist es ebenfalls, die Kräfte des Landes besser zu bündeln - und zwar nicht mehr nur im Wasserkopf Paris. 67 Wirtschaftsregionen wurden unlängst gekürt. Sie teilen sich Fondsmittel von insgesamt 1,5 Milliarden Euro, die sie in Form von Steuerhilfen, Projektkrediten und anderen Vorteilen erhalten, um ihre Schlagkraft zu konzentrieren und Exportfähigkeit zu vergrößern.

Über hundert Regionen hatten ihre Kandidatur eingereicht. Zuschlag erhielten Pole "mit weltweiter Ausrichtung" wie Toulouse (Aeronautik), Toulon (Meeressicherheit), Illkirch-Graffenstadten im Elsass (Therapie-Moleküle) oder Rennes (Telekommunikation). Zu den übrigen Polen mit nationaler Dimension gehört etwa die Agglomeration der zentralfranzösischen Stadt Limoges, die ihr jahrhundertealtes Savoir-faire bei der Porzellanherstellung vermehrt für medizinische Hightech-Zwecke wie Keramikprothesen nutzen will, oder auch die ehemalige Papststadt Avignon, die ihr Augenmerk stärker auf "innovative" Früchte und Gemüse (zum Beispiel die nahen Cavaillon-Melonen oder Ananas-Stäbchen) richten will. (Stefan Brändle, Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.4.2006)