Stadtgeschichten von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Es war zu Ostern. Und am schönsten fand ich dann – im Nachhinein – den Kugelfischvergleich vom Mann von A.s Schwester. Weil er – der Vergleich – erstens so nett hinkt, aber – zweitens – trotzdem funktioniert. Irgendwie halt. Und zwar gerade bei Menschen, die von Bärlauch weit mehr Ahnung haben als ich.

Ich gehöre nämlich zu jener Spezies von Botanikexperten, deren Fachwissen bei der Frage „Obst- oder Nadelbaum?“ endet: Wer mich zum Schwammerlsuchen mitnimmt, muss Gottvertrauen haben – oder aber händchenhaltend mit mir durch den Wald hirschen. Da ist es effizienter, mich als Sherpa einzusetzen, als darauf zu hoffen, dass ich nach ein paar Stunden intensiver Sammelbetreuung dann in der Lage bin, Gut von Böse zu unterscheiden.

Maiglöckchen

Immerhin habe ich mittlerweile drei Dinge begriffen: Zum einen, ist im Frühling nicht Schwammerl- sondern Bärlauchsaison. Zum anderen heißt das, was kein Bärlauch ist, aber angeblich ähnlich aussieht, Maiglöckchen. Und zum dritten schaffen es – obwohl Auskenner behaupten, es gäbe eine Million Unterscheidungsmerkmale – alle Jahre wieder ein paar Leute, sich mit Maiglöckchen unter die Erde zu bringen.

Das Fazit ist relativ einfach. Vernünftige Menschen verzichten darauf, mich Bärlauchpflücken zu schicken – und verbieten mir, begeisterten einem Propheten jedweder Apokalypse, im Beisein von nicht zu 180 Prozent von der Sicherheit der Speisen überzeugten Personen, über Möglichkeiten, Mortalität und Leidensbilder theoretisch möglicher Vergiftungen zu referieren: Dass ich - während ich unser aller unvermeidliches und unmittelbar bevorstehendes Ende detailreich vorhersage - selbst esse, hat noch nie wen am Blässeaufziehen und Magenflauheit-Empfinden gehindert. Und weil das ja gemeinhin erste Vergiftungsanzeichen sind ... Und so weiter.

Im Wald

Zu Ostern aber waren wir am Land. Bei A.s Schwester. Die hat einen alten Bauernhof. Mitten im Wald. Sehr nett. Und mit vielen Gästen. Und weil alle anderen gerade anderweitig rustikal beschäftigt waren, schickte mich die Freundin der Schwester in den Wald. Um Bärlauch zu holen. Einwände, erklärte sie, wären irrelevant. Und weil sie bloß Ausflüchte eines faulen Taugenichts wären und sie nicht ewig Zeit habe, solle ich gefälligst mit dem Quad ihres Mannes tief in den Wald koffern und nicht ohne einen Kubikmeter Blätter zurückkommen. Sprach´s, warf mir die Schlüssel zu und wusste, dass ich der Kombination aus Drohungen und Verlockung nicht widerstehen würde.

Beim Essen ging alles glatt. Bis ich fragte, ob irgendwer den Knoblauch aus dem Bärlauchsalat schmecke. Ich hätte noch zuviel Abgase in der Nase und deshalb schmecke mir irgendwie alles benzinig. Als erste ließ A. die Gabel sinken: Ob das heißen solle, dass ich "im Bärlauch" gewesen sei? Die Freundin der Schwester bejahte nichtsahnend – und bekam große Augen, als A.s Schwester den Salat blitzschnell aus der Reichweite aller Kinder zog, in die Schüssel griff und begann, ein paar Blätter zwischen den Fingern zu reiben: Ob die Freundin die "Ware" überprüft habe?

"Jeder Depp"

Die Frau wurde blass: Sie habe, erklärte sie, meine Warnung, dass ich keine Ahnung hätte, ob das, was ich da abliefere, wirklich Bärlauch sei, für einen blöden Witz gehalten: Maiglöckchensaison sei noch nicht – und jeder Depp... Weiter kam sie nicht: A. referierte über den Unterschied zwischen jedem und einem hier sitzenden Deppen. Und ihr Schwager saß bereits mit dem großen Pflanzenbestimmbuch über der Salatschüssel. Ich protestierte: Solche Ansagen und ein dieses Verhalten empfände ich als erniedrigend, unangebracht, diskriminierend, unloyal und überaus unhöflich – aber ich wurde ignoriert. (Natürlich entschuldigte sich niemand bei mir, als kurze Zeit später klar war, dass wir alle weiter leben würden.)

Gestern, wieder in Wien, lief ich dann durch den Prater. Links und rechts der Spazier-, Rad-, Reit- und Laufpfade wuselten ganze Heerscharen von Spaziergängern durch das Unterholz und brockten Bärlauch. Oder was sie dafür hielten. Mein Mitläufer konnte es nicht lassen: Alle paar Minuten rief er irgendeinem Familienvater zu, dass er lieber genau aufpassen solle, was seine Kinder da pflückten – gerade an dieser Stelle habe sich im Vorjahr ein Maiglöckchenopfer das Ticket – zumindest - ins Krankenhaus geholt. Man könne da wirklich nie vorsichtig genug sein.

Die Leute waren – natürlich – jedes mal perplex. Manche riefen uns sogar "Danke" nach. Ich schämte mich. Aber nur ein bisserl. Weil ich mich nämlich konzentrieren musste: Lachen und Laufen vertragen sich nicht. Davon kriegt man Seitenstechen – und meinen Kumpel alleine weiter laufen lassen wollte ich auch nicht: Er hätte mir vom restlichen Bärlauchauflauf bei uns daheim freiwillig nämlich bestimmt nichts übrig gelassen. Obwohl ich das Zeug gepflückt hatte.