Wien - Das STANDARD-Interview mit Bundespräsident Heinz Fischer über das "falsche Geschichtsbild" in der österreichischen Unabhängigkeitserklärung hat für zahlreiche Reaktionen gesorgt - unter Historikern, in einer heftig geführten Debatte unter Lesern auf derStandard.at und in der Hofburg selbst.
Fischer hatte die Unabhängigkeitserklärung infrage gestellt. Diese sei einer "ehrlichen Aufarbeitung dessen, was in Österreich geschehen ist, jahrzehntelang im Weg gestanden". Bestes Beispiel für den Präsidenten: Das "Klischee", dass der Krieg "von keinem Österreicher jemals gewollt oder vorauszusehen war". Also das Festhalten an der Opferthese.
Die Historikerin Erika Weinzierl gibt Fischer Recht, hat aber Bedenken. Denn aus ihrer persönlichen Sicht war Österreich "natürlich" Opfer. "Im März 1938 hat mein Vater zu mir gesagt: ,Erika, jetzt kommt der Hitler, das gibt Krieg.' Wir haben uns immer als Opfer gefühlt."
Karl Stuhlpfarrer von der Universität Klagenfurt ist mit Fischers Kritik an der Unabhängigkeitserklärung "vollkommen einverstanden". Ihn freut, dass "diese Variante des Geschichtsbewusstseins" endlich auch prominente Unterstützung bekommen hat. Für Stuhlpfarrer ist die Unabhängigkeitserklärung nämlich "die erste Form der Geschichtskosmetik, um nicht zu sagen Geschichtsfälschung". Eine historische Betrachtung, die auch das "lange Warten auf Restitution und Wiedergutmachung" erkläre.
Historiker Stefan Karner will die Unabhängigkeitserklärung aus ihrer Genese heraus verstehen. Karner: "Bereits in der Moskauer Deklaration von 1943 bezeichnen die Alliierten Österreich als erstes Opfer. Da schließt Renner 1945 mit dem Gründungsdokument der 2. Republik an." Das Dokument sei mit dem "Erfahrungshorizont der Handelnden" zu sehen. Karner: "Heute, 61 Jahre später, wissen wir aufgrund der Forschungen natürlich mehr." 1945 habe es hingegen das Bestreben gegeben, "aus den Österreichern quasi ein Volk von Widerständlern zu machen".
"Unabhängigkeitserklärung problematisch"
"Natürlich ist die Unabhängigkeitserklärung problematisch", sagt der Historiker Bertrand Perz. Dieses Dokument sei eine hochpolitische Ansage gewesen. "Die Opferthese war programmatisch für die politische Positionierung Österreichs bis zum Staatsvertrag und darüber hinaus." Was für Perz heute noch das große Problem darstellt: "Die Positionierung der Abgrenzung zur eigenen Geschichte und dem des Deutschen Reichs hat dazu geführt, dass man einen relativ unkritischen Österreich-Patriotismus oder Nationalismus aufgebaut hat."
Nicht mehr der Deutsch-Nationalismus sei das Thema, für Perz hat sich das längst zu einem Österreich-Nationalismus verschoben. "Und das ist zum Teil auch rassistisch."