Irving-Anwalt Elmar Kresbach fühlt sich als "Linker", mit einer "leicht anarchistischen Ader". Seinen "interessantesten Mandanten", David Irving, hält er für "keinen Rechtsradikalen".

Foto: Robert Newald

Elmar Kresbach – Anwalt von Holocaust-Leugner David Irving, "Linker" und "Porsche- Fahrer ohne Wunschkennzeichen" – würde zwar "keinen Babymörder" verteidigen, Saddam und Nazi-Verbrecher aber schon. Wie er das alles vereinbart, erklärt er Renate Graber.

STANDARD: Sie verteidigen Holocaust-Leugner und Historiker David Irving, der – nicht rechtskräftig – wegen Verstoßes gegen das Verbotsgesetz zu drei Jahren unbedingt verurteilt wurde. Warum vertreten Sie ihn?

Kresbach: Weil Irving von allen, die je unter dem Verbotsgesetz angeklagt wurden, der interessanteste, intelligenteste, vielschichtigste und von seiner publizistischen Arbeit her der herausforderndste ist. Einige seiner militärhistorischen Werke sind nach wie vor anerkannt, das bestreiten nicht einmal seine Feinde. Abgesehen vom Inhalt seiner Bücher: Er ist auch ein guter Schriftsteller, leicht lesbar. Irving fällt nicht unter Wiederbetätigung im engeren Sinn – er hat ja keine Wehrsportgruppe gebildet -, sondern es geht um die Meinungsfreiheit.

STANDARD: Ein Rechtsradikaler soll straffrei und immer wieder den Holocaust leugnen dürfen?

Kresbach: Irving ist kein Rechtsradikaler. Er gehört zu jener Gruppe Engländer, die ungewöhnlich starke Sympathie für den deutschen Standpunkt im Zweiten Weltkrieg haben und der in wesentlichen Fragen als Apologet auftritt. Unabhängig davon, was er jetzt wieder in Interviews von sich gegeben hat – vor Gericht hat er gesagt: "Manche meiner Behauptungen sind nicht aufrechtzuerhalten."

STANDARD: Sie haben Irving "nicht politisch" verteidigt. Sie halten das Verbotsgesetz für kontraproduktiv?

Kresbach: Hätte ich Irving politisch verteidigt, hätte er die zweifache Strafe ausgefasst – zu Recht. Ich kritisiere das Verbotsgesetz, aber nur dort, wo es die freie Meinungsäußerung unter Strafsanktion eines Schwurgerichts stellt, Märtyrer schafft. Die echte Wiederbetätigung, wie Wiedergründung der NSDAP, sollen sie noch 100 Jahre lang verbieten. In einer Demokratie soll man die Möglichkeit haben, unpopuläre, vielleicht widerwärtige, vielleicht sogar falsche und unvertretbare Meinungen öffentlich sagen zu können.

STANDARD: Und die Opfer?

Kresbach: Bei aller Rücksicht auf die Opfer und ihre Nachfahren: Nach 60 Jahren Demokratie in Österreich und Europa müssen es unser System und unsere Gesellschaft aushalten, dass jemand wie Irving unsinnige und falsche Äußerungen macht. Wenn jemand so etwas Trottelhaftes sagt wie: "Ich glaube nicht, dass Auschwitz existiert hat", straft sich das doch selbst. So jemanden soll man meinetwegen mit einer Eselskappe ausstellen, aber doch nicht vors Schwurgericht stellen wie einen Mörder. Die Meinungsdebatte führen wir ja auch bei den Mohammed-Karikaturen.

STANDARD: Warum kam Irving gerade zu Ihnen?

Kresbach: Mundpropaganda.

STANDARD: Angenommen, rechtsradikale Gruppen würden für Irving bezahlen, nähmen Sie das Geld?

Kresbach: Ich kann Sie beruhigen, das ist nicht der Fall.

STANDARD: Teilen Sie Irvings Meinungen? Kresbach: Nein.

STANDARD: Wo stehen Sie selbst politisch?

Kresbach: Ich bin ein Kind der Siebzigerjahre und habe eine leicht anarchistische Ader. So gesehen bin ich ein Exote in der heutigen Zeit.

STANDARD: Aha, darum verteidigen Sie gern die Underdogs unserer Gesellschaft.

Kresbach: Machen Sie sich ruhig lustig, aber das ist der Mechanismus dabei: Mein Wille, dem System manchmal ein Schnippchen zu schlagen oder sich dagegenzustellen.

STANDARD: Sie üben also, gut bezahlt, Widerstand?

Kresbach: Widerstand? Ja, natürlich. Schauen Sie, ich wurde in den Siebzigern und Achtzigern sozialisiert und hätte mir nie gedacht, dass wir uns in Bezug auf die Freiheit des Einzelnen so regressiv entwickeln. Wir bewegen uns in erschreckendem Ausmaß auf eine Kontroll- und Überwachungsgesellschaft zu. Früher war der Kommunismus unser Feind, dann die organisierte Kriminalität, und jetzt haben wir gerade den Terrorismus. Solche Schlagworte sind doch nur der Deckmantel, anonymen Apparaten mehr Budget und Macht zuzuschanzen.

STANDARD: Fühlen Sie sich als Linker?

Kresbach: Keiner, der alle enteignen will. Im Gesellschaftspolitischen bin ich ein Linker.

STANDARD: Was hält der Linke davon, dass es bei uns immer mehr Schubhäftlinge gibt?

Kresbach: Da werden Menschen behandelt wie Kriminelle, ohne es zu sein. Sie dürfen immer länger inhaftiert werden, bald werden wir sie sogar künstlich ernähren. Danach werden sie ins nächste Gefängnis geschoben oder heimgeschoben. Die Politiker machen das nur, um mit dem Scheinargument Sicherheit Stimmen zu angeln.

STANDARD: Was Sie da sagen, passt so gar nicht dazu, dass Sie NS-Wiederbetätiger verteidigen.

Kresbach: Politische Einstellungen sind bei der Auswahl meiner Mandate nicht der Punkt. Der Pariser Anwalt Jacques Vergès war auch kein Rechter und hat Klaus Barbie, den Gestapo-Chef von Lyon, vertreten. Ich würde auch Saddam Hussein vertreten.

STANDARD: Tatsächlich. Und würde Ihnen nicht gruseln?

Kresbach: Nein, und ich sage Ihnen auch freiwillig, warum: Ich entwickle einen automatischen Abwehrmechanismus, wenn alle aufstehen und sagen: "Schau, was das für ein Böser ist!" Natürlich ist Hussein ein Böser, aber das muss man vor Gericht verhandeln und beweisen. Wenn bewiesen ist, dass Hussein an der Ermordung von Kurden Schuld trägt, dann soll man ihn bestrafen. Ich sag's Ihnen klipp und klar: Ich vertrete jeden Menschen, der irgendeiner Tat beschuldigt wird.

STANDARD: Sie hätten auch in den Nürnberger Prozessen verteidigt?

Kresbach: Das fragen mich Freunde auch immer wieder, und ich antworte: Ja, selbstverständlich. Wäre der interessanteste Prozess, den du als Anwalt führen kannst.

STANDARD: Ich mag Ihnen nicht glauben, dass Sie gar keine Schmerzgrenze haben.

Kresbach: Tun Sie's. Ein Strafverteidiger sollte sich selbst keine Grenzen setzen, sonst ist er im falschen Beruf. Aber natürlich habe auch ich Fälle, die mir besonders widerwärtig sind. Es fällt mir schwer, Leute zu verteidigen, die Kinder, Wehrlose gequält, Abhängigkeiten brutal ausgenützt haben. Jetzt häufen sich diese ganz grauslichen Fälle, bei denen auch ich nachzudenken beginne: Da wurde ein kleines Mädchen so gequält, dass es nach langem Koma nun gestorben ist. Bei solchen Babymorden ist selbst meine Schmerzgrenze überschritten.

STANDARD: Warum würden Sie den Babymörder nicht verteidigen, millionenfache Mörder aus der NS-Zeit aber schon? Kresbach: Gute Frage, deren Beantwortung ich sachlich nicht zu differenzieren vermag. Wahrscheinlich ist es leichter, das Unvorstellbare zu verteidigen als den, von dem man weiß, dass er das Baby gegen die Wand geschleudert hat. Es klingt pervers, aber es ist wahrscheinlich leichter, Adolf Eichmann zu verteidigen, der wie ein Buchhalter völlig abstrakt Listen schreibt, als jemanden, der ein Kind vergewaltigt, umbringt und im Wald vergräbt.

STANDARD: Sie haben aber auch einen Vater verteidigt, der seinen Zweijährigen zu Tode verbrüht hat; oder den Mörder der achtjährigen Nicole Strau.

Kresbach: Ja. Auch Menschen, die Grausamkeiten verdächtigt werden, haben ein Recht auf gute und faire Verteidigung. Ein Verteidiger hat die Aufgabe, der Letzte zu sein, der für so jemanden das Wort ergreift. Und, seien wir ehrlich, manche von denen, die Widerwärtiges getan haben, sind einfach arme Hunde: Die kommen auf die Welt – und haben schon keine Chance. Bei mir landen sie, wenn sie daran zerbrochen sind.

STANDARD: Sie vertreten ja auch oft die glamourösen Causen: Sie haben Dreifachmörderin Elfriede Blauensteiner verteidigt, Ex-Libro-Chef André Rettberg. Das dient alles der Werbung?

Kresbach: Nicht nur, aber es ist die Crux unseres Standes, dass man die Presse braucht, um bekannt zu werden. Mein täglich Brot sind Scheidungen, kleine Strafsachen, Autounfälle. Jene prominenten Fälle, die viel Butter aufs Brot bedeuten, sind die Ausnahme. Meist stehen gerade diese Mandanten wirtschaftlich nicht sehr fundiert da.

STANDARD: Stichwort Rettberg: Sie raten geschädigten Libro-Aktionären, sich bei ihren Bankern und nicht bei Rettberg zu beschweren. Etwas zynisch?

Kresbach: Das ist die Wahrheit, schauen Sie hinaus.

STANDARD: Dort sehe ich die Vorstandsbüros der BA-CA vis-à-vis, aber die sind leer, weil es schon so spät ist.

Kresbach: Apropos: Ich bin sicher, dass sich bei großen Börsengängen à la Libro die Emissionsbanken das fetteste Kuchenstück abschneiden. Die verdienen sich goldene Nasen.

STANDARD: Apropos: Wie legen Sie Ihr Geld an? Hoffentlich war es nicht in Libro-Aktien.

Kresbach: Wie lustig. Die Zeiten, als Anwälte sehr viel Geld verdienen konnten, sind vorbei. Ich habe nicht so viel Vermögen, dass es sich auszahlt, es großartig anzulegen.

STANDARD: Glaube ich Ihnen nicht. Übrigens: Warum sind Promi-Strafverteidiger so uniform unterwegs? Stets gebräunt, im Porsche mit Wunschkennzeichen.

Kresbach: Fragen Sie die Betroffenen, ich habe kein Wunschkennzeichen.

STANDARD: Aber einen Porsche.

Kresbach: Ich habe, gemeinsam mit meiner Frau, einen Porsche, unser Sommerauto. Und bevor Sie lästig werden: Für den Winter und die Familie haben wir einen Mercedes, M-Klasse.

STANDARD: Auch sehr schön ...

Kresbach: ... auch kein Wunschkennzeichen.

STANDARD: Leisten Sie sich Supervision, für die Verarbeitung Ihrer grauslichen Fälle? Träumen Sie manchmal davon?

Kresbach: Nichts von beidem. Ich habe eine dicke Haut, wie die Unfallchirurgen.

STANDARD: Haben hohe Selbstmord- und Alkoholikerraten.

Kresbach: Jetzt zerstören Sie meine Illusionen über die menschenrettenden Helden.

STANDARD: Stichwort Helden: Wie reagieren Manager, wenn sie vor dem Richter landen, etwa wegen Insider-Deals?

Kresbach: Wenn es sie erwischt, kommt das große Heulen und Zähneknirschen. Sie sind völlig aus dem Häuschen, fragen, warum sie abgehört, unfreundlich behandelt, inhaftiert werden dürfen. Aber ich glaube ja, dass Manager hauptsächlich dann vor Gericht landen, wenn sie es besonders dumm anstellen.

STANDARD: Sie haben das Wort Gerechtigkeit, um die es in Ihrer Branche doch geht, nie erwähnt. Warum nicht?

Kresbach: Ein wenig naiv? Gerechtigkeit gibt es nicht. Gerechtigkeit ist eine gute Idee – und wir sollten danach trachten, uns ihr anzunähern. (DER STANDARD, Printausgabe, 4./5.3.2006)