Foto: Polyfilm
Wien - Zum Frühstück trinkt Alex gerne Kakao. "Nicht sehr männlich" sei das, meint er/ sie ironisch, so als ließe sich an der Vorliebe für Kakao die geschlechtliche Identität bestimmen. Alex ist intersexuell, also keinem normierten Geschlecht zuordenbar. Im Alter von zwei Jahren wurde an ihm/ihr ein chirurgischer Eingriff durchgeführt, eine so genannte "Geschlechtsangleichung" - man amputierte den Penis und legte eine Scheidenplastik an. Seitdem hieß er/sie Alexandra und lebte als Mädchen, ohne sich je ganz als Mädchen zu fühlen.

In "Tintenfischalarm" macht Alex seine/ihre Geschichte erstmals öffentlich. Elisabeth Scharangs Dokumentarfilm beschränkt sich nicht darauf, einer devianten Form von Geschlechtlichkeit und den damit verbundenen Konflikten zu einer höheren Aufmerksamkeit zu verhelfen. Alex' individuelles Schicksal, sein/ihr Versuch einer Selbstfindung, stehen im Vordergrund. Exemplarisch ist sein/ihr Weg deshalb, weil er/sie aus der Anonymität heraustritt.

Scharang begleitete Alex über einen Zeitraum von drei Jahren. Sie tritt dabei selbst als Protagonistin auf, als Freundin an seiner/ihrer Seite, umgeht das gängige Interviewmodell und inszeniert ein intimes Zwiegespräch, das das wechselseitige Vertrauen sehr nachdrücklich zu vermitteln sucht. Die Binnenperspektive erlaubt große Offenheit - und damit Einsichten in eine Außenseiterexistenz. Der Gefühlsraum isoliert Alex aber auch aus einem sozialen Umfeld, an dem Aussagen anschaulich würden.

Nichtsdestotrotz bleibt Alex eine äußerst resolute Figur. Die Entscheidung als intersexueller Mann zu leben und sich hinkünftig Alex Jürgen zu nennen, ist (auch) ein Effekt des Comingout. Reisen ans Wattenmeer, wo er erstmals mit einer Selbsthilfegruppe zusammentrifft, nach Berlin und nach San Francisco markieren die Etappen einer Selbstbestimmung, die an der Erfahrung reift, einem größeren Kollektiv anzugehören.

Scharang scheint manchmal fast zu sehr darauf bedacht, Alex' Geschichte eine positive Resonanz zu verleihen - auch die besinnlichen Songs der Band Garish wirken in diesem Zusammenhang ein wenig fremd. Demgegenüber bleibt Alex ein erfrischend widerborstiger Gegenpart, der seine durch Testosteron verbundenen körperlichen Veränderungen nicht verhehlt; genauso wenig wie den Umstand, dass ihn nichts mehr enttäuschen kann. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.4.2006)