Gehirn- statt Biomasse
Die Idee der künstlerischen Mikro-Nation ist bekannt. Da wäre etwa "AVL-Ville" von Joep van Lieshout, die 2001 ebenso als souveräner, weltlicher, demokratischer Freistaat mit eigener Verfassung gegründet wurde.
Dass das Glück am Pier des Rotterdammer Hafens nur wenige Monate währte, ist nicht der einzige Unterschied zu dem von sabotage-Kopf Robert Jelinek ins Leben gerufenen SOS. Ganz ohne eigene Territorien steht dieser Staat allerdings nicht da. Zu einigen Quadratmetern im Walviertel und Tschechien, kommen gar 500 Hektar Land in Australien. Essentiell ist der Landbesitz dennoch nicht: "State of Sabotage" ist keine autonome Künstlerkommune, die Schweine verwurstet und Kuhdung in die eigene Biogasanlage einspeist. SOS besetzt viel lieber temporär geistige Gefilde statt fixe geographische Territorien: Quasi Gehirn- statt Biomasse.
Ganz unverortet können die von SOS initiierten geistigen Ex- und Diskurse zu Umwelt, Zeitgeist und Alltagskultur allerdings nicht stattfinden: Daher also die temporäre Botschaft - oder vielmehr das einladende Botschafts-Sofa, das bei einer staatstragenden Zeremonie zu Festivalbeginn eingeweiht wird. Hymnenbegleitet wird da zur Kanaldeckel-Installation geschritten: Dieses "SOS-Gate" steht staatswappenverziert nicht nur für den einzigen Zugang zum Staate Sabotage, sondern lässt auch an eine Einstiegsstelle zu den "Sub"-Kulturen" denken.
Genre-übergreifender Sofa-Talk
Der Musiker, DJ und Journalist Didi Neidhart wird fortan – und allen zu erwartenden Wetterlaunigkeiten des Aprils zum Trotz – Musiker und Künstler des Festivals zu sich aufs luftige Open-Air-Sofa bitten, die Botschaft zum "Speakers Corner" umwidmen. "We Take Prisoners – Sampling As Kidnapping" heißt eines der mitunter provokant formulierten Motti, die Arbeitsweisen in der Musik zum Thema macht und mit Schlagworten wie "Body Language", "Gender", "Sex", "Race", "Class" oder "Nation" kombiniert. Ein genre-und staatsgrenzen-übergreifender Sofa-Talk.
Die Verknüpfung von Theorie, Performance, Aktionismus, Bildender Kunst und Musik, die das Projekt "State of Sabotage" ausmachen, kennzeichnet seit 1993 auch alle Aktivitäten von "Sabotage Communications", "Sabotage Records" und Robert Jelinek. Eine Ideologie die sich jeder Eindeutigkeit und Kategorie entzieht, mediale Botschaften sowohl bewusst einsetzt als sie auch verweigert.