Roberto Benigni, 1952 bei Arezzo in der Toskana geboren, wurde zuerst als Darsteller in Filmen von Federico Fellini ("La voce della luna") und Jim Jarmusch ("Down by Law") berühmt. Für "La vita è bella" ("Das Leben ist schön") erhielt er einen Oscar.

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Mit "Der Tiger und der Schnee" legt der italienische Komiker und Regisseur Roberto Benigni ("La vita è bella") eine weitere filmische Variation über die Kraft der Liebe vor. Bert Rebhandl sprach mit ihm.

STANDARD: Herr Benigni, Sie hatten mit "La vita è bella", einer Komödie in einem Konzentrationslager, einen großen Erfolg. Warum jetzt ein Film über den Irak im Krieg?

Roberto Benigni: Das ist einfach und schwierig zugleich zu beantworten. Die Idee hatte ich schon vor dem Krieg. Ursprünglich wollte ich die Geschichte vor dem Hintergrund des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern ansiedeln. Das erwies sich als zu schwierig. Diese Auseinandersetzung ist zu groß und zu kompliziert. Also schrieb ich ein Drehbuch über den Irak. Unterdessen begann der Krieg. Man kann nicht so tun, als ob der Krieg nicht da wäre. Ein Regisseur muss den Mut haben, der Realität ins Gesicht zu schauen. Der Krieg hat sich in unser aller Leben gedrängt. Er hat mich täglich beschäftigt, in meinen Träumen, in meinen Albträumen. Dem wollte ich etwas Reales entgegensetzen. Eine extreme Liebesgeschichte in einer extremen Situation.

STANDARD: Wie wichtig war Ihnen dabei, dass die italienische Regierung den Krieg der USA unterstützt hat, während das Volk in Italien mit deutlicher Mehrheit dagegen war?

Benigni: Alle Völker sind gegen den Krieg, aber Regierungen sind es nicht immer. Das hat einen diffizilen Grund: Der Krieg ist auch eine Leidenschaft der Menschen. Der Künstler muss herausfinden, wo diese Passion anfängt. Filme müssen die Potenz dieser Leidenschaften zeigen. Ich zeige eine Person, die frei ist, die verliebt ist, die lebendig ist – das sind die drei Gebote, das ist das, was jeder sein müsste. Die Italiener waren besonders heftig gegen diesen Krieg. Das habe ich durch die Kraft und Wildheit des Attilio di Giovanni, den ich spiele, zum Ausdruck bringen wollen. Die Regierungen sind konformistisch genug.

STANDARD: Es gibt eine bezeichnende Szene in "Der Tiger und der Schnee", in der über den Poeten, den Sie spielen, gesagt wird, er träume nicht in Symbolen, wie es sich gehört, sondern ganz unverschlüsselt. Steckt da eine künstlerische Selbstbeschreibung drin?

Benigni (lacht): Das kann sein. Es gibt keine Metaphern in dem Film. Alles wird direkt ausgedrückt. Es ist ja schade, wenn ein Stil verwinkelt ist, das würde auf einen komplizierten Geist schließen lassen. Ich bin nicht der Protagonist dieses Films. Ich wäre es gern. Ich habe alle schönen Sachen, die ich denke, auf ihn projiziert. Dieser Mensch liebt wild, er wird von seiner außerordentlichen Leidenschaft gelenkt – das ist unbewusst, aber zugleich ganz klar und deutlich, nichts Unheimliches. Das ist die Sicht eines Poeten.

STANDARD: Es gibt deutliche Parallelen zu "La vita è bella".

Benigni: Das ist der Weg eines Künstlers. Pasolini hat auch eine Trilogie des Lebens gemacht, und schon die Dichter der Antike haben in Zyklen gearbeitet. Die Botschaft – ein Wort, das ich nicht so gerne mag, ohne das ich aber nicht auskomme – dieser Filme ist Liebe. Das ist eine Rede, die ich zu Ende bringen wollte. Die Pflicht eines Komikers ist nicht einfach, die Leute zum Lachen zu bringen. Natürlich ist es witzig, wenn jemand auf einer Bananenschale ausrutscht. Aber interessant wird es dort, wo sich ein Künstler nicht um die schwierigen Fragen seiner Zeit drückt, wenn er es macht wie Chaplin, der auf Hitler reagierte. Es ist meine Aufgabe, die Menschen zum Lachen zu bringen und zugleich zu experimentieren. Eine Komödie muss ein großer Akt der Courage sein.

STANDARD: Nach "La vita è bella" hatten Sie die Gelegenheit, mit relativ großem Budget Ihre Version von "Pinocchio" zu drehen. Wie sind Sie im Rückblick damit zufrieden?

Benigni: Den musste ich einfach machen. Ich hatte das Federico Fellini versprochen, mit dem ich Pinocchio eigentlich gemeinsam machen wollte. Vor seinem Tod hat er noch gesagt: "Robertino, das machst du jetzt!" Der Film hat außerhalb von Italien wenig Verständnis gefunden. Das liegt vielleicht auch an der Vorlage. Pinocchio ist ein schwarzes Buch – es erzählt im Grunde genommen, dass man nicht glücklich sein kann. Wir kennen von Pinocchio nur die Disney-Version. Mein Film war eine Art Protest dagegen, und man muss sich erst einmal an die Vorstellung gewöhnen, einen fünfzigjährigen Pinocchio zu sehen. Ich kann nicht sagen, dass ich alles richtig gemacht habe, aber ich weiß, dass ich um den Pinocchio nie herumgekommen wäre.

STANDARD: Seit vielen Jahren spielt Ihre Frau Nicoletta Braschi die weiblichen Hauptrollen in Ihren Filmen. Was bedeutet diese Zusammenarbeit für die Liebe?

Benigni: Schon wieder eine einfache und komplizierte Frage. Wir haben uns vor 25 Jahren kennen gelernt und uns damals auf einen gemeinsamen Weg begeben. Ich schulde ihr alles. Das ist auch der Grund, warum ich ihr noch nichts gewidmet habe. Ich warte darauf, dass sie das tut, denn alles gehört ihr. Wenn ich einen Film mit ihr drehe, denke ich an sie als Schauspielerin. Ich möchte sie besetzen, weil ich sie für ihre Kunst liebe: für ihre Eleganz, ihre Ernsthaftigkeit, mit der sie die Rollen darstellt. Der Blick einer Frau ist das Schönste, das man zeigen kann, wenn man eine Komödie macht. Ob sie auch in Zukunft diese Rolle spielen wird, weiß ich nicht, aber ich hoffe es von ganzem Herzen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.3.2006)