Foto: STANDARD/Hendrich
Also, gegeben sei: Eine Münze wird in die Luft geworfen und fällt zu Boden. Sie zeigt Kopf oder Zahl. Zufall? Wirft Persi Diaconis die Münze, wird sie immer die von ihm gewünschte Seite zeigen. Kein Wunder: Der 61-jährige Amerikaner gilt in Fachkreisen als einer der besten Zauberkünstler der Welt.

Da Diaconis aber auch Professor für Mathematik an der renommierten Universität von Stanford und einer der bedeutendsten Vertreter der Stochastik (Wahrscheinlichkeitsrechnung) der Gegenwart ist, stellt sich ihm eine grundsätzliche Frage: Fällt die Münze überhaupt zufällig? Oder landet sie wie das berühmte Butterbrot nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit auf der Seite, die auch anfangs nach oben gezeigt hat?

Die Antwort hat Diaconis über mehrere Jahre beschäftigt und schließlich die Wahrscheinlichkeitstheorie verändert. Der Mann besitzt keinen Computer und ist nicht leicht zu erreichen. Aber wem es doch gelingt, Diaconis zu einem Vortrag zu überreden, den erwartet wie in der Vorwoche im überfüllten Vortragssaal des math.space (in der Veranstaltungsreihe "Der FWF im math.space") Außergewöhnliches.

Ein Kartenspiel

Im Anfang steht die Magie: Ein Kartenspiel wird ins Publikum gereicht, es wird mehrfach abgehoben, fünf Personen nehmen je eine Karte vom Stoß, und nach zwei kurzen allgemeinen Fragen errät Diaconis alle Karten. Mit diesem Trick gelang es Diaconis vorweg, die Aufmerksamkeit des staunenden Publikums zu fesseln.

Der Vortrag selbst bestand in der Auflösung des Rätsels, denn ohne Mathematik funktioniert der Trick nicht: Die Karten sind nach Sequenzen geordnet, denen der Zufall des Abhebens nichts anhaben kann und in denen sich Diaconis mithilfe minimaler Informationen orientiert.

Diaconis lieferte ein Musterbeispiel für Anschaulichkeit und gelungene Wissenschaftsvermittlung: Entlang des eigenen Staunens über den Trick wurde das Interesse des Publikums für Kombinatorik geweckt, für Eulers elegante topografische Probleme, die Schönheit der De-Bruijn-Sequenzen bis zu ihren vielfältigen Anwendungen in der Kryptologie und Robotronik.

Wissenschaft und Zauberkunst gehen heute getrennte Wege, für Diaconis hängen Magie und Mathematik jedoch zusammen: "Magie liefert die Wunder, und Wissenschaft braucht bekanntlich Wunder." Noch im 18. Jahrhundert bedienten sich Wissenschafter und Gelehrte klug wie geschickt der Strategien der Zauberkünstler, um die Ergebnisse ihrer Experimente einem breiteren Publikum verständlich zu machen. In dieser Tradition des "rational entertainment" bewegt sich auch Diaconis als Wissenschafter und als Kenner der Magiegeschichte. Diese Kunst der Anschaulichkeit reicht zurück zur unterhaltsamen Mathematik eines Martin Gardner und Sam Loyd, bis zu den "mathematischen Erquickstunden" eines Daniel Schwenter, der mit "schönen und annehmlichen Kunststücken" im 17. Jahrhundert das allgemeine Interesse an Physik und Mathematik weckte.

Die Welt des Persi Diaconis besteht dabei aus konkreten Problemen und skeptischen Fragen. Etwa, ob bestimmte Rhythmen in der indischen Musik mathematischen Folgen entsprechen oder wie oft man ein Kartenspiel mischen muss, damit die Reihenfolge der Karten tatsächlich als gemischt gelten kann.

Alles gelernt

Vielleicht hängt dieser Sinn fürs Konkrete mit seinem Lebenslauf zusammen. Mit vierzehn Jahren riss Diaconis, der aus einer Musikerfamilie stammt, aus und schloss sich dem damals 68-jährigen berühmten Zauberkünstler Dai Vernon an. "In zwei Jahren hat mir Vernon alles beigebracht, was man braucht. Und mehr als das: Er lehrte mich Disziplin und täglich von früh bis spät an konkreten Problemen zu arbeiten."

Zehn Jahre arbeitete Diaconis als professioneller Zauberkünstler. Ein Ereignis brachte den jungen Magier von der Zauberkunst zur Wissenschaft: In Puerto Rico entdeckte er, dass in einem Kasino mit manipulierten Würfeln gespielt wurde. Um den Betrug zu beweisen, brauchte Diaconis die Wahrscheinlichkeitsrechnung und wechselte von der Bühne in den Seminarraum. Er besuchte Abendkurse am City College in New York und wurde danach als erster Absolvent des Colleges gleich an der Universität von Harvard aufgenommen.

Wenige Jahre später gehörte Diaconis zu den vielversprechendsten Statistikern der Welt. Auch wenn er heute nur noch selten als Zauberkünstler auftritt, ist er seiner magischen Leidenschaft als Sammler und Erfinder von Tricks treu geblieben. Gäbe es ein Patent auf Zaubertricks, wäre der Mann heute steinreich.

Großes Vorbild von Diaconis, der derzeit an einem Buch über Mathematik und magische Tricks arbeitet, ist dabei ein Wiener: der Zauberkünstler Johann Nepomuk Hofzinser (1806-1875), dessen "Stunde der Täuschung" zur Mitte des 19. Jahrhunderts einer der Brennpunkte des gesellschaftlichen Lebens in Wien war. "Die meisten Effekte der Zauberkunst sind mehr als 500 Jahre alt, nur wenigen gelingt etwas Neues. Und Hofzinser gehört dazu", schwärmt der Amerikaner über den Wiener Magier.

Kein Zufall

Im Übrigen: Die Münze fällt ganz und gar nicht zufällig, bewies Diaconis. Ihre Flugbahn wird von den Gesetzen der Physik und nicht vom Zufall regiert. Und wenn Sie wollen, dass ein Kartenspiel tatsächlich durchmischt ist, sollten Sie es zumindest siebenmal mischen lassen. Unser Tipp: Lassen Sie nicht Diaconis mischen. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.3.2006)