Der scheidende ÖGB-Chef Fritz Verzetnitsch behauptet, er habe die Bawag durch seinen mutigen Einsatz vor dem Untergang gerettet. Finanzminister Karl-Heinz Grasser kann in seinem Handeln "nichts Richtiges" finden und wirft ÖGB und Bawag vor, die Aufsicht belogen zu haben. Und ÖVP, BZÖ und FPÖ machen aus der ÖGB-Krise sogleich einen SPÖ-Skandal.

Es ist Wahlkampf, und in solchen Zeiten bleibt die Wahrheit auf der Strecke. Beide Seiten basteln an Legenden, mit denen sie dann im Herbst die Bawag-Story in ihrem Sinne dem Wähler verkaufen wollen. Wer hinter die politische Rhetorik blickt, erkennt in den Vorgängen vom Jahreswechsel 2000/01 eine Mischung aus Panik, Mut und Verantwortungslosigkeit.

Im ersten Moment haben Verzetnitsch und sein Finanzchef Günter Weninger wahrscheinlich richtig gehandelt: In der verzweifelten Lage, in die sie Bawag-Chef Helmut Elsner hineinmanövriert hat, fanden sie einen Ausweg, der letztlich niemandem schadete. Die Bawag überlebte und ist inzwischen wieder saniert. In einer Tratschgesellschaft wie der österreichischen hatte Weninger wohl Recht, nicht einmal seine ÖGB-Kollegen im Aufsichtsrat einzuweihen.

Doch das Risiko war weitaus größer, als es die ÖGB- Spitze jetzt darstellt: Wäre die Sanierung nicht so glimpflich verlaufen, dann hätte die Gewerkschaft zahlen müssen und stünde heute praktisch ohne Vermögen dar. Ob der Erhalt der Bawag als Gewerkschaftsbank das wert war - denn die Alternative wäre eine Übernahme durch die Bayerische Landesbank oder eine andere Bank gewesen -, muss sich jedes Gewerkschaftsmitglied selbst fragen.

Dazu kommt, dass bei der Rettungsaktion möglicherweise zahlreiche gesellschafts- und bilanzrechtliche Vorschriften verletzt worden sind. Ob eine staatstragende Organisation wie der ÖGB mit dem Rechtsstaat so umgehen darf, ist eine ebenfalls legitime Frage. Zumindest hat die Gewerkschaft damit jedes Recht verspielt, privaten Unternehmen fragwürdige Praktiken vorzuwerfen. Die Bilanzspielchen der Bawag würde sich kein Manager einer börsennotierten Gesellschaft trauen. Nicht die Spekulationsgeschäfte, sondern die Vertuschung ist das, wofür sich die Gewerkschaft genieren sollte.

Noch schlimmer aber wiegt, was in den Jahren danach geschah - und nicht geschah. Hätte der ÖGB nach der Rettung an der Bawag-Spitze konsequent aufgeräumt, dann würde die Geschichte heute anders aussehen. Doch stattdessen blieb Elsner hoch bezahlt im Amt. Bei der Verabschiedung wurde er mit Pension und weiteren Posten reich belohnt, als Nachfolger mit Johann Zwettler ein Mann ernannt, der alle Fehler mitgetragen hatte.

Die Unternehmenskultur, die ins karibische Desaster geführt hatte, blieb erhalten. Der irrsinnige Millionenkredit an die Refco war die logische Folge. Dafür tragen, wie man jetzt sieht, Verzetnitsch & Weninger direkte Verantwortung.

Die Legende vom tapferen Gewerkschaftschef, der einst Heldenmut und nun - mit seinem Rücktritt - Zivilcourage bewiesen hat, bekommt daher gehörige Schrammen. Und das strahlt auch auf die SPÖ aus. Dass die Sozialdemokraten nicht wirtschaften können, ist bloß wahlkämpferisches Getöse. Aber wenn die Parteispitze nicht in der Lage ist, die Rolle des ÖGB in der Bawag ernsthaft zu hinterfragen, dann wird sie mitverantwortlich für den Sumpf, der in ihrem Umfeld entstanden ist.

Helmut Elsner ist drauf und dran, zur neuen Symbolfigur des "roten Managers" zu werden - so wie einst Udo Proksch in den Kreisky-Jahren. Das muss die SPÖ mit allen Mitteln vermeiden. Es reicht nicht aus zu behaupten, man sei für die Fehler der Bawag-Vorstände nicht verantwortlich. Denn Verzetnitsch war es ab 2001. Und die Elsner-Ära wurde erst Montagabend beendet, als Ewald Nowotny den halben Vorstand feuerte. Der neue Bawag-Chef muss nicht nur die Bawag sanieren, er muss auch beweisen, dass sozialdemokratische Banker kein gestörtes Verhältnis zu Recht und Moral haben. (Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.3.2006)