Auf den Tisch! Ein Improvisationsprojekt kuratiert von Meg Stuart

Foto: tqw/ © NATO
Wien – Eigentlich ist die belgische Größe Anne Teresa De Keersmaeker die ausgewiesene Expertin in Sachen Choreografieren zur Musik von Steve Reich. Nun war im Wiener Konzerthaus ein Versuch des Briten Akram Khan zu sehen, es ihr gleichzutun. Klares Ergebnis: Keersmaeker bleibt die Koryphäe und Khan ist bestenfalls ein Klassenprimus.

Zu Reichs neuer klingender Perle Variations for Vibes, Pianos and Strings, von der London Sinfonietta unter Brad Lubman fein und präzise interpretiert, tanzen drei vorbildliche Tänzer, einschließlich dem Choreografen: mit präzisen Bewegungsmustern, charmant und ganz nah an der Musik. Die Idee, Lubman als Dirigenten auf den Tanzboden zu bitten, erscheint wie eine verlegene Geste in Richtung Xavier Le Roy, der sich bereits in zwei Werken – kompetenter – mit der Choreografie von Orchestern beschäftigt hat.

Im Vergleich mit Keersmaekers bahnbrechenden Arbeiten zu Reich, wie unter anderen Fase oder Drumming, bleibt Khans Herangehen beliebig. Er findet zu keinem überzeugenden Statement, das über die schlaffe Taktik des Vertanzens von Musik hinausweist. Keersmaeker hat es bestens verstanden, der Musik des großen Mannes der Minimal Music, der in diesem Jahr 70 wird, adäquate tänzerische Dimensionen an die Seite zu stellen und funkelnde Diskurse zwischen Klang, Raum, Licht, Inszenierung und Bewegung zu provozieren.

Khan hingegen wärmt sich bloß an Reich auf. Was ist los mit einem gegenüber Keersmaeker um eineinhalb Jahrzehnte jüngeren Choreografen, der sich seit 2000 – hochgejubelt – überaus wendig durch die Festivals schlängelt, dass er künstlerisch so trottelig über die Bühne turnt, als ob es keine Kontexte in der Choreografie gäbe? Und weil diese Lappalie im deutschen Feuilleton so naiv besungen wurde, noch eine Entgegensetzung auf der Ebene von zeitgenössischem Tanz: Meg Stuarts Improvisationsprojekt Auf den Tisch! war unmittelbar vor Khan im Tanzquartier Wien zu sehen und kommt am 29. und 30. März auch ins Salzburger Mozarteum.

Reizlos retro

So unterschiedlich die beiden Arbeiten auch sein mögen, vor Stuarts Risikobereitschaft und künstlerischem Draufgängertum wirkt Khan schülerhaft und reizlos retro. Auf den Tisch! riskierte eine kritische Bilanz der tänzerischen Instant-Composition: komisch, grausam und subversiv. Mit so traumhaften Darstellern wie Frans Poelstra, Vera Mantero und Erna Ómarsdóttir, deren Witz und Wahnsinn einen Table-Dance zauberten, dass den meisten Zusehern das – amüsierte, überraschte, unsichere – Lächeln nicht von den Lippen weichen wollte.

Nicht, dass die Wiener Premiere von Auf den Tisch! die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen konnte. Viele Situationen blieben verkrampft oder in sich stecken. Schlimmer noch: Im Vergleich zu Meg Stuarts wilder Crash Landing- Reihe, die vor zehn Jahren vom belgischen Leuven ausgehend begann, bleibt Auf den Tisch! sympathisch wirr und sauber. Doch immerhin will es Stuart weiterhin wissen, und Akram Khan genügt der ölige Erfolg. Stuart irritiert den Blick, und Khan schmeichelt ihm bloß. Beide Positionen beschreiben zwei charakteristische Positionen im aktuellen Tanz: Abenteuer und Affirmation. Erstere bietet etwas zu entdecken an, die zweite deckt uns sabbernd zu. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.3.2006)