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Hinrichtungen sind in China an der Tagesordnung - nicht selten werden danach den Delinquenten Organe für profitable Transplantationen entnommen.

Foto: AFP
China wird immer mehr das Ziel im "Transplantationstourismus": Tausende Patienten reisen aus anderen asiatischen Ländern an, um zu einer neuen Niere zu kommen – die Organe stammen meist von exekutierten Kriminellen.

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Fast viereinhalb Jahre musste der nierenkranke Kenichiro Hokamura regelmäßig zur Blutwäsche. "Ich war es leid, weiter zu warten" vertraute der 62-jährige Japaner Journalisten der britischen Zeitung Independent an. Er wusste, dass er keine Chance hatte, eine Spenderniere zu bekommen. Die Namen von 100 Patienten standen vor ihm auf der Warteliste.

Hokamura suchte Anfang des Jahres im Internet nach Alternativen und wurde prompt im Nachbarland China fündig. Nur zehn Tage, nachdem er online mit einem dort lebenden japanischen "Organvermittler" Kontakt aufgenommen hatte, lag er in Schanghai auf dem Operationstisch eines Krankenhauses.

Umgerechnet 7000 Euro kosteten Reise und Arrangement, den Gegenwert von knapp 49.000 Euro zahlte er für seine neue Niere und die Operation. Ein Dolmetscher verriet ihm, woher die Niere kam: von einem hingerichteten, jungen chinesischen Kriminellen. Kein Problem, fand der Japaner. "Der Spender hat damit einen Beitrag für die Gesellschaft geleistet."

Trotz gesetzlicher Verbote ist China zum Zentrum eines anrüchigen, wenn nicht kriminellen Organhandels geworden. 2004 kamen über einen einzigen japanischen Vermittler rund 100 japanische Patienten nach China, berichtete der Independent.

Dolmetscher

Seine Angaben werden auch von der chinesischen Zeitschrift Fenghuang (Phönix) bestätigt; sie widmete kürzlich dem Thema "Organtransplantationen" ein Sonderheft. Demnach sind in den vergangenen drei Jahren allein aus Südkorea 3000 Patienten nach China angereist. Aus anderen Ländern von Malaysia bis Japan kamen noch mal 1000 Patienten hinzu.

Dieser starke Anstieg der Nachfrage setzte 2002 ein. Vorher kamen pro Jahr nur ein bis zwei Patienten aus dem Ausland. Ein auf Profit ausgerichtetes Medizinwesen förderte den makaberen "Transplantationstourismus".

In 368 chinesischen Krankenhäusern, darunter 40 in Peking, werden heute Nierentransplantationen angeboten. Große Kliniken wie in der Stadt Tianjin spezialisieren sich sogar mit Dolmetscher und anderem Service auf ihre ausländischen Kunden.

In Peking wird nun an einem neuen, scharfen Transplantationsgesetz gearbeitet, mit dem sowohl Missbrauch als auch ärztlicher Pfusch verhindert werden sollen; eine Reaktion darauf, dass japanische und malaysische Patienten nach Transplantationen starben.

Kritik entzündet sich auch daran, dass reiche Patienten aus dem Ausland den chinesischen Bedürftigen vorgezogen werden. Zwei Millionen Chinesen warten auf Transplantationen, nur ein Prozent davon mit Erfolg.

Es geht um viel Geld. Das gilt auch für die ihre Dienste anbietende Zunft gut verdienender Vermittler. Von ihnen weiß man nicht, ob sie ihre "Nierenspenden" über korrupte Justizbehörden erhalten oder von armen Bauern, die bereit sind, eine ihrer Nieren zu "verkaufen".

Organhandel verboten

Der Handel mit Organen ist in China illegal. Organe von zum Tode Verurteilten dürfen nur mit Einwilligung von diesen und ihrer Familie verwendet werden. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass das in abgelegenen Gebieten "weniger streng überwacht wird", bestätigt ein bekannter chinesischer Chirurg, der seinen Namen nicht genannt haben wollte.

Die undurchsichtige Herkunft der Organe schreckt Patienten ebenso wenig ab, wie das hohe Risiko an Komplikationen in China, zehnmal höher als bei Operationen in Südkorea, wie Phoenix feststellte. Die meisten Spender, berichtet die Zeitschrift lakonisch, seien 20 bis 30 Jahre alt. Weitere Herkunftsangaben würden von den Spitalsleitern verweigert. Als Todesursache der Spender werde aber oft "akute Hirnverletzung" angegeben – ein deutlicher Hinweis auf Exekution. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.3.2006)