Brüssel - Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft wird von den meisten Brüsseler Korrespondenten als bisher unspektakulär beurteilt, positiv wird jedoch die Vermeidung neuer offener Grabenkämpfe und die Verbesserung der Stimmung in der EU hervorgehoben. Im Folgenden eine Zusammenstellung von Kommentaren, die Korrespondenten internationaler Zeitungen in einer exklusiven Stellungnahme gegenüber der APA zur Halbzeit abgaben.

George Parker, Financial Times

"Die österreichische Präsidentschaft war ziemlich matt bis jetzt, aber Kanzler Schüssel hat es es zumindest geschafft, einen flammenden Streit über Protektionismus auf dem EU-Gipfel zu vermeiden. Er hat eine Art von Übereinkunft über eine EU-Energiepolitik erzielt und scheint den Weg freigemacht zu haben für einen Kompromiss zur Dienstleistungsrichtlinie. Wenn er im Juni zur EU-Verfassung einen Weg noch vorne entwerfen kann, wird er seiner Ansicht nach das meiste erreicht haben, was er sich vorgenommen hat."

Martin Winter, Süddeutsche Zeitung

"Wer nach rein messbaren Erfolgen der österreichischen EU-Präsidentschaft sucht, der wird nicht viel finden. Das aber ist nicht die Schuld Wiens, sondern so ist eben die allgemeine Lage. Die schwierigen Themen der Europäischen Union wie das der Finanzen sind entweder erledigt oder liegen wie die Verfassung vorerst auf Eis. Und Eis, beziehungsweise das Aufbrechen desselben, ist der eigentliche Maßstab für das, was Wolfgang Schüssel und seine Regierung erreichen. In einer Zeit des europapolitisches Frustes, der Desorientierung und der Misslaunigkeit ist es die wichtigste Aufgabe, den Laden erst einmal beisammen zu halten. Und das heißt: die Stimmung muss verbessert werden. Da ist Österreich durchaus erfolgreich. Die vielen Gesprächskreise und Konferenzen mögen zwar noch nicht den Weg zur Lösung der europäischen Probleme aufzeigen, aber sie organisieren die Bereitschaft, ihn zu gehen. Schüssel wird von Anfang an klar gewesen sein, dass seine Präsidentschaft eine ist, die eine gefährliche Übergangszeit bewältigen muss. Bisher hat er das mit viel Geschick geschafft. Neben dem ritualisierten Lob seiner Kolleginnen und Kollegen fällt auf, dass unter den zum Spott neigenden Brüsseler Diplomaten kaum ein böses Wort über Wien zu hören ist."

René Höltschi, Neue Zürcher Zeitung

"Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft hat die Erwartungen für dieses Halbjahr, aber auch für das jüngste Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs wohl bewusst tief gehalten. Gemessen daran fiel das Ergebnis des Gipfels besser aus als von vielen befürchtet: Die Mitgliedstaaten haben sich auf einige Schritte hin zu einer gemeinsamen Energiepolitik verständigt, einen lähmenden Grundsatzstreit über die Öffnung ihrer Dienstleistungsmärkte beigelegt und einen offenen Schlagabtausch über Protektionismus vermieden.

Ob dabei von einem "historischen Schritt" oder einem "Durchbruch" gesprochen werden kann, wie dies Kommissionspräsident Barroso und mehrere Regierungschefs getan haben, ist zu bezweifeln: Mutigere Schritte gerade in den Schlüsselbereichen Energie und Dienstleistungen hätten entscheidend zu Wachstum und Beschäftigung beitragen können. Doch die EU der 25 ist - nach den beiden gescheiterten Referenden zum Verfassungsvertrag und dem erbitterten Finanzstreit des letzten Jahres, aber auch angesichts der durch Erweiterung und Globalisierung ausgelösten Verunsicherung - derzeit schlicht nicht bereit für größere Sprünge.

Vor diesem Hintergrund darf es der Präsidentschaft durchaus als Erfolg angerechnet werden, wenn sie durch diplomatisches Geschick und atmosphärische Verbesserungen den "Supertanker EU" in ruhigeres Fahrwasser zurückbringt - ohne spektakuläre Durchbrüche, aber mit kleinen Schritten nach vorn und einer Schließung statt einer Öffnung von Gräben.

Damit dies gelingt, müssen in diesem Semester noch einige Hürden genommen werden, darunter die Zwischenbilanz der Debatte über die Verfassung und die "Zukunft Europas" und der Beschluss über das Beitrittsdatum von Bulgarien und Rumänien. All dies wird für die Präsidentschaft zwar heikel, aber in der Außenwirkung nicht besonders dankbar sein. Doch ein Beitrag zur Beruhigung und zur Selbstfindung der EU ist wohl das Beste, was ihr derzeitiger Steuermann leisten kann." (APA)