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derStandard.at: Die Behandlungsmöglichkeiten werden heute im Gesundheitsbereich immer besser. Viele Patienten fühlen sich aber trotzdem unwohl und wollen oft nicht zum Arzt gehen. Woran liegt das?

Gottschlich: Das Unwohlsein hängt mit der Form der Beziehung zwischen Arzt und Patient zusammen. In dem Maße, in dem die Medizin komplexer und komplizierter wird, ist auch ein höheres Maß an Kommunikation nötig. Damit man wieder zu einem gegenseitigen vertrauensvollen Verhältnis zurückfindet, geht es dabei aber nicht nur um das Vermitteln von Information , sondern um die Wiedergewinnung einer grundlegenden Dimension im Arzt-Patientenverhältnis, des Mitgefühls,

derStandard.at: Wie kann diese Empathie das Arzt-Patientenverhältnis verbessern? Gibt es wissenschaftliche Belege dafür?

Gottschlich: Wenn man die empirische Forschung durch Jahrzehnte hindurch beobachtet, insbesondere in den angloamerikanischen Ländern, dann zeigt sich, dass gute Kommunikation tatsächlich das Heilungsgeschehen beschleunigt. Herzinfarktpatienten, die im Spital positive Kommunikationserfahrungen gemacht haben, haben eine schnellere Regenerationsfähigkeit, als eine Kontrollgruppe. Patienten, die sich sich vertrauensvoll in die Hände ihres Anästhesisten begeben, brauchen nach der Operation wesentlich weniger Schmerzmittel.

derStandard.at: Wie sieht so eine positive Kommunikation zwischen Arzt und Patient konkret aus?

Gottschlich: Positive Kommunikation versucht die emotionale Befindlichkeit der Patienten ernst zu nehmen und sich auf diese emotionale Befindlichkeit einzulassen. Das ist nicht damit erreicht, dass man den Patienten mit Fachinformation überschüttet, sie hat wesentlich etwas mit Gefühl zu tun.

derStandard.at: Was ist also wichtiger beim Gespräch am Krankenbett – Information oder Emotion?

Gottschlich: Das hängt vom Patienten ab, das eine muss das andere nicht ausschließen. Die Grundlage für die Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung ist aber zunächst die positive, gefühlsmäßige Beziehung, die versucht, sich mit der Angstsituation des leidenden Menschen mit all seinen Problemen auseinanderzusetzen. Fehlt diese Beziehung, gehen diese Informationen oft in die Leere. Das ist auch der Grund für die so genannte mangelnde "Compliance", die mangelnde Bereitschaft ärztliche Ratschläge zu befolgen, zum Beispiel bei der Medikamenteneinnahme. Vertrauen ist kommunikationsintensiv, während Ärzte vielfach den Fehler machen Vertrauen einfach vorauszusetzen.

derStandard.at: Wann würden Sie jetzt konkret von misslungener Kommunikation zwischen Arzt und Patient sprechen?

Gottschlich: Misslungene Kommunikation ist dann, wenn emotionale Barrieren bestehen. Wenn der Arzt beispielsweise eine Mauer um sich aufbaut, weil er sich gegen übermäßige Ansprüche seitens des Patienten schützen möchte. Aber wenn ich eine Mauer aufbaue, komme ich von mir aus auch nicht an andere heran.

derStandard.at: Bedeutet das, dass sich der Arzt gegen zu viel Emotion schützen will?

Gottschlich: Natürlich, Leid ist immer ansteckend. Davor haben wir alle Angst. Nur muss der Arzt lernen mit seiner eigenen Leidensspannung zurechtzukommen. Er muss sich mit den Fragen des Leidens, des Sterbens und des Todes auch auseinandersetzen. Erst dann ist er auch fähig, auf die existenziellen Fragen des Anderen einzugehen.

derStandard.at: Worauf sollte ein Arzt im Gespräch mit Patienten achten, was würden Sie raten?

Gottschlich: Er muss achtsam sein. Das heißt, er muss alle Antennen ausfahren und versuchen, die hinter den Worten des Patienten liegende seelische Befindlichkeit zu erkennen. Er muss eigentlich die Sprache der Seele verstehen lernen. Das ist die große Herausforderung und davor fürchten sich viele Mediziner. Sie argumentieren dafür nicht ausgebildet zu sein und sehen das nicht als ihre Aufgabe. Aber wenn jemand zum Arzt geht, kommt er als ganzer Mensch mit all seinen psychischen Problemen.

derStandard.at: Wie könnte man eine passende Ausbildung in das Medizinstudium integrieren?

Gottschlich: Man hat mit dem neuen Medizinstudienplan begonnen, Kommunikation als Lehrfach unterzubringen, aber es ist wahnsinnig schwer. Nächstenliebe oder Mitgefühl kann man nicht lernen, das hat man oder man hat es nicht. Die andere negative Antwort lautet, man kann das nicht unterrichten. Man versucht jetzt mit Rollenspielen bewusst zu machen, wo denn die sensiblen Kommunikationsbereiche liegen. In England spielen Schauspieler Patienten und es wird gezeigt, wie Ärzte auf diese fiktiven Krankengeschichten reagieren. Aber das Problem ist, dass der Student weiß, dass das nicht echt ist.

derStandard.at: Das heißt, mit Theorie kann man dem Problem nicht beikommen und in der Praxis ist das schwierig zu vermitteln?

Gottschlich: Ja, ganz schlimm wäre ein Kommunikationstraining, weil das zur Routine verkommt. Das Neurolinguistische Programmieren (NLP) ist eine Form, sich eine gewisse Verhaltensroutine zurechtzulegen, das trifft den Kern der Sache aber nicht, weil ich dann auf alle Patienten kommunikativ, offen und freundlich reagiere. Die Kunst ist es aber, auf jeden Patienten individuell kommunikativ einzugehen. Der einzige Weg ist, sich genügend Zeit zu nehmen und ein Maß an Offenheit und Achtsamkeit zu entwickeln.

derStandard.at: Was kann der Patient seinerseits beitragen zu einem gelungenen Gespräch?

Gottschlich: Der Patient selbst kann gar nichts beitragen, er ist immer in der schwächeren Situation, als Leidender ist er immer dem Arzt unterlegen. Das Patientenbild wandelt sich, die Patienten werden angeblich immer mündiger, sie sind informierter, sie recherchieren vorher im Internet, sie kommen mit Therapievorschlägen. Die Ärzte haben sich auf den neuen Typus mündiger Patient noch gar nicht eingestellt, der kritisch und dem Arzt gegenüber zunächst skeptisch ist. Der Arzt muss dem Patienten gute Gründe dafür geben, dass er ihm vertrauen kann und ein guter Grund ist neben der Fachkompetenz die gute empathische Kommunikation. Die einfühlsame Kommunikation ist aber nicht die Freundlichkeit, das darf man nicht missverstehen. Es geht nicht um Kundenfreundlichkeit, sondern um das Anteilnehmen am Schicksal des Anderen.

derStandard.at: Welche Gründe kann es für Missverständnisse zwischen Arzt und Patienten geben?

Gottschlich: Da gibt es viele Gründe. Der Arzt sieht im Patienten den Kunden. Der Patient will aber nicht Kunde sein sondern er will in seinem leiden ernst genommen werden. Das ist ein grundlegendes Entfremdungskriterium. Ein Mensch, der leidet, will jemanden haben, dem er sich anvertrauen kann, insbesondere wenn es um psychosomatische Erkrankungen geht. Ein weiteres Missverständnis besteht darin, dass der Arzt sozusagen Angst vor dem Patienten und dessen überzogenen Erwartungshaltungen hat. Der Patient erwartet sich vom Arzt möglichst schnelle Heilung, in vielen Fällen fast ein Wunder. Es muss möglichst schnell und schmerzfrei gehen. Die Ärzte schützen sich vor dieser überzogenen Erwartung indem sie eine Mauer um sich herum aufstellen, weil diese Erwartungshaltungen in der Regel enttäuscht werden müssen.

Drittens bauen Ärzte eine Mauer um sich auf, weil der Umgang mit Patienten immer auch für den Arzt psychisch belastend ist. Weil das Zurechtkommen mit dem Leiden des Anderen, die ständige Konfrontation mit der Sterblichkeit, mit dem Elend der Menschen psychisch ungeheuer belastend ist. Dann entsteht ein funktionales Verhältnis zwischen Arzt und Patient, das darin besteht, dass der Arzt das repariert, wovon der Patient sagt, dass es zu reparieren wäre. Aber der Patient will in seiner Ganzheit ernst genommen werden. Das ist das große fundamentale Problem.