In der riesigen Halle ist es auch tagsüber stockfinster. Die Fensterflächen sind mit schwarzen Plastikplanen verhangen, es riecht dumpf und säuerlich nach feuchtem Stroh. Hie und da ist ein leises "Plopp" vernehmlich. Rhabarber kann man wachsen hören. "Das Geräusch entsteht, wenn sich die junge Pflanze aus ihrer Hülse windet", erklärt Hannes Holler, "Rhubarb Forcer" in der näheren Umgebung von Wien.
Seit rund zwanzig Jahren sind Holler und sein Vater unter den ganz wenigen Österreichern, die Rhabarber nach englischem Vorbild ziehen - im Dunkeln, weil er dann einfach besser schmeckt. Die Briten sind, wie man nicht zuletzt aus Kriminalromanen weiß, passionierte Gärtner und Botaniker. Das Wissen, wie Rhabarber geradezu schockierend pink, gleichzeitig aber ungleich zarter und weniger sauer als üblich gerät, wird auf der Insel seit Jahrhunderten gepflegt. Der Aufwand beim "Rhubarb Forcing" ist beträchtlich, als Belohnung gibt es ab Ende Februar die erste Ernte der Saison, komplett biologisch und von allerbester Qualität.
Folsäure und Oxalsäure
Nun sind die langen Stangen nicht jedermanns Sache. Schon beim Gedanken daran verzieht es manchen den Mund, so gnadenlos sauer kann Rhabarber sein. Die Pflanze ist eng mit Sauerampfer verwandt und eigentlich ein Gemüse. Sie enthält hohe Mengen an gesunder Folsäure aber auch an Oxalsäure, die besonders in den Blättern vorkommt und in großer Menge genossen gesundheitsschädlich ist - deshalb kommen die Stange nur entblättert in den Handel. Wer Rhabarber je in der klassischen Kombination mit Vanillesauce gegessen hat, kennt das charakteristisch stumpfe Gefühl, das man da an den Zähnen bekommt: In Verbindung mit Milchprodukten bildet die Säure Kalziumoxalat, eine Substanz, die an den Zähnen haften bleibt.
Süße Variante stachelbeerenartig
Entsprechend gesüßt aber, mit wenig Vanille, Zimt, Ingwer oder Sternanis gewürzt, entfaltet der säuerliche Geselle sein an Stachelbeeren gemahnendes Aroma. So entwickelt er durchaus beachtlichem Suchtfaktor. Überhaupt verträgt er sich aufs Vorteilhafteste mit starken Gewürzen, als Begleiter der indischen Küche funktioniert der Kontrast besonders gut. Während der vorwiegend grüne, ab Mitte April erntefähige Feldrhabarber unter Umständen holzig und exzessiv sauer gerät, ist Rhabarber, der aus dem Dunkeln kommt, stark in Geschmack und Farbe, aber zart in Konsistenz und Säure.
"Das Ausgangsmaterial sind Pflanzen, die mindestens zwei Jahre am Feld waren", erklärt Hannes Holler, "dann haben sie kräftige Wurzeln entwickelt". Die werden ausgestochen und in die Halle transferiert. "Jetzt beginnt das, was die Engländer 'Forcing' nennen. In der Dunkelheit wird Rhabarber viel zarter und feiner im Geschmack, ähnlich, wie sich das auch beim Spargel verhält." Die Hallen und Pflanzentunnels haben Bodenheizung. Dadurch wird das Wachstum beschleunigt, bei völliger Dunkelheit sprießen die Triebe und wachsen auf ihrer Suche nach Licht beachtlich hoch. "Die Pflanze lebt währenddessen nur von der Substanz und Energie, die in den Wurzeln gespeichert ist", sagt Holler, "am Ende der Saison haben die sich völlig aufgezehrt."
"Champagne Rhubarb"
Die rosa Stangen sind dafür umso saftiger. Die Briten nennen sie deshalb auch "Champagne Rhubarb". Ihre kräftige, fein ausbalancierte Säure schwingt delikat am Gaumen und funktioniert, ganz gegen landläufige Instinkte, auch großartig mit Fisch. Die kräftigen Aromen einer scharf gegrillten Makrele (oder eines knusprig gebratenen Gewürz-Karpfens) etwa bitten regelrecht um einen säuerlichen Kontrast: Rhabarber kurz mit karamellisiertem Zucker anbraten, ein Stück Zimtrinde und Chilli dazu, mit wenig Obstessig und Orangensaft ablöschen, bei kleiner Hitze durchziehen lassen, vietnamesische Minze (aus dem Asia-Shop), Salz und Pfeffer dazu, fertig.
Chutney aus Fenchel und Rhabarber