Das viele Geld liegt im Tresor - ob Chefbankräuber Clive Owen (hinten) es allein darauf abgesehen hat, muss sein Kontrahent Denzel Washington in Spike Lees gelungenem Thriller "Inside Man" erst herausfinden.

Ab Freitag im Kino

Foto: UIP
Wien - Die vier Bankräuber kommen in der Kluft von Bauarbeitern. Sie legen die Überwachungskameras lahm, indem sie sie mit Grubenlampen blenden. Sie haben Overalls für mehrere dutzend Geiseln, und als die Polizei anrückt, um die Situation in einer ehrwürdigen Filiale direkt an der Wall Street in Ordnung zu bringen, sind die Verbrecher von ihren Opfern nicht mehr auf den ersten Blick zu unterscheiden.

Denzel Washington spielt den Polizisten, der herausfinden muss, was das eigentliche Ziel dieses Überfalls ist, bei dem es möglicherweise nicht in erster Linie um Geld geht. Spike Lee entwickelt in seinem neuen, exzellenten Film Inside Man eine höchst spannende Geschichte mit doppeltem Boden und komplizierten Motiven. Clive Owen spielt den charismatischen Bandenchef, und Jodie Foster glänzt in einer ambivalenten Rolle.

STANDARD: Mr. Lee, beim Sehen von "Inside Man" hat man das Gefühl, dass dem Film ein tolles Drehbuch zugrunde liegt.

Lee: Das stimmt. Es stammt von einem Mann, der davor noch nichts verkauft hatte. Russel Gewirtz wollte nicht mehr Jurist sein. Er schrieb ein Drehbuch, nahm sich einen Agenten, und schon gab es eine Auktion. Brian Grazer kaufte das Buch für Ron Howard, aber Russell Crowe wollte zuerst Cinderella Man machen. Inside Man war also ohne Regisseur. Dann bekam ich es zu lesen.

STANDARD:Haben Sie sofort einen klassischen Genrefilm gesehen, oder war da noch mehr?

Lee: Die Sozialkritik, die detaillierte Darstellung der Gesellschaft von New York, fällt nicht sofort ins Auge. Aber es ist alles da, die ganze Geiselgeschichte ist davon durchsetzt. Ich habe 20 Filme in 20 Jahren gemacht und dabei immer wieder die Register gewechselt. Inside Man erschien mir als ideale Vorlage.

STANDARD: Der Film zeichnet sich durch ausgeprägten Stilwillen aus. Waren Kompromisse mit dem Produzenten nötig?

Lee: Wir haben den Film gemacht, den wir machen wollten. Ich höre mir die Meinungen an, aber am Ende entscheide ich.

STANDARD: Denzel Washington, der bei Ihnen auch schon Malcolm X gespielt hat, hat sich inzwischen im Mainstreamkino etabliert. Welchen Stellenwert hat er für Sie?

Lee: Das ist unsere vierte Zusammenarbeit, und ich sah zu ihm keine Alternative. Es ist immer überraschend, was er macht, wie er eine Figur spielt.

STANDARD: Wie war die Arbeit mit Jodie Foster?

Lee: Sie hat nur gesagt: "Spike, ich möchte glamourös aussehen!"

STANDARD: Der Film erinnert ein wenig an die 70er-Jahre.

Lee: Das hoffe ich. Das waren die Filme, die wir dem Team gezeigt haben: Dog Day Afternoon. Serpico. Marathon Man. Ich wollte ein Gefühl dafür geben, dass wir nicht den ersten Film dieser Art machen. Da gibt es eine Genre-Geschichte.

STANDARD: Sie zeichnen ein sehr pessimistisches Bild von New York - der Bürgermeister ist erpressbar, ein hoher Banker hat mit den Nazis gemeinsame Sache gemacht. Ist die Stadt denn noch bewohnbar für Normalsterbliche?

Lee: Mein größtes Problem: Es ist fast ausgeschlossen, hier zu leben, wenn du nicht reich bist und die Kinder auf eine Privatschule schicken kannst.

STANDARD: Wie hat sich die Stimmung seit Ihrem Film "The 25th Hour" entwickelt?

Lee: The 25th Hour entstand direkt nach den Anschlägen auf das World Trade Center. Inzwischen haben die meisten Leute sich wieder gefasst, aber sie wissen alle, dass wieder etwas passieren wird.

STANDARD: Die Figur des Bankers in "Inside Man" steht für die dunklen Seiten des Kapitalismus, oder gibt es da konkretere Bezüge?

Lee: Wenn Sie darauf hinauswollen, dass ich der Familie Bush eins auswischen wollte: nein. Ich wusste nichts über Prescott Bush, den Großvater des Präsidenten, und seine mutmaßlichen Verbindungen mit den Nazis. Jetzt weiß ich es. Gut für den Film.

STANDARD: Sie arbeiten sehr flexibel, mit Film und Video, innerhalb und außerhalb der Industrie . . . Ist das die Zukunft des Kinos?

Lee: Steven Soderbergh hatte eine tolle Idee mit der gleichzeitigen Veröffentlichung seines Films Bubble im Kino, im Fernsehen und auf DVD. Damit holt er das Publikum dort ab, wo es im Alltag ist. Viele Kinos in den USA projizieren schon digital - ich kann keinen Unterschied erkennen.

STANDARD: Soderbergh steht auch im Zentrum eines neuen Politkinos in den USA. Eine wichtige Bewegung?

Lee: Das wird von den Medien vielleicht ein wenig aufgebauscht. Syriana oder Good Night, and Good Luck sind de facto Indie-Filme, auch wenn sie von Subunternehmen großer Studios finanziert werden.

STANDARD: Für welchen Film haben Sie bei den Oscars gestimmt?

Lee: Spielbergs Munich.

STANDARD: Nicht für "Brokeback Mountain"?

Lee: Ja, komisch, nicht? Dabei haben Ang Lee und ich sogar gemeinsam an der Universität studiert. Nein, ich mag Brokeback, aber ich hatte mich für den politisch interessanteren Film entschieden.

STANDARD: Wovon handelt Ihr aktuelles Projekt?

Lee: Ich arbeite an einem Dokumentarfilm für den TV-Sender HBO: When the Levees Broke - über den Hurrikan "Katrina" und New Orleans.

STANDARD: Und der nächste Spielfilm?

Lee: Ich habe jetzt ein Drehbuch über Joe Louis und Max Schmeling in Arbeit. Wir müssen das aber erst fertig finanzieren. Dabei sollen in diesem Film eine Menge Leute auftreten, die jeder kennt: Roosevelt, Hitler, Goebbels, Mussolini. Und Lena Horne.

STANDARD: Haben Sie schon einen Hitler?

Lee: Da habe ich einen Mann, der Hitler schon auf der Bühne in Deutschland gespielt hat: Martin Wuttke. Kennen Sie vielleicht einen deutschen Produzenten, den Sie mir empfehlen könnten?

STANDARD: Bernd Eichinger hat sich als eine Art Experte für diese Epoche erwiesen.

Lee: Kann man mit ihm arbeiten?

STANDARD: Er beschäftigt bevorzugt mittelmäßige Regisseure, und gilt als dominant. Lee: Nun, Brian Grazer ist wahrscheinlich einer der exzessivsten, mächtigsten Hollywoodproduzenten - wir sind sehr gut miteinander ausgekommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22. 3. 2006)