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Foto: APA/OTS/Andrea Müller
Wir leben mitten im Wahlkampf. Damit sind nicht Volksbegehren und andere Scharmützel als Vorboten der herbstlichen Nationalratswahl gemeint. Immer mehr zum dominierenden Thema wird die Neugestaltung der Führungsetage des ORF. Aus Sicht der politischen Akteure gilt die dortige Postenbesetzung als wichtigste Personalentscheidung der laufenden Legislaturperiode. Demokratiepolitisch wertvoll sind die dadurch bedingten Grabenkämpfe und Pakte hinter den Kulissen kaum. Angesichts der Umfrageforschung über die Bedeutung des Fernsehens in modernen Kommunikationsgesellschaften machen allerdings die Parteien mit ihren Beeinflussungsversuchen eines per Gesetz unabhängigen Mediums nur, was sie strategisch tun müssen. Trotz "Krone" ist das Fernsehen für zwei Drittel der Österreicher die wichtigste politische Informationsquelle.

Glaubwürdigste Politikberichterstattung

Hinzu kommt, dass eine überwältigende Mehrheit die Politikberichterstattung im Fernsehen auch für am glaubwürdigsten hält. Zeitungen rangieren diesbezüglich unter ferner liefen, nämlich bis zu 40 Prozentpunkte (!) hinter dem Bildschirm. Ähnliche Daten wurden für Mediendemokratien von den USA bis Italien erhoben. Die Wiederwahl von George Bush 2004 mit massiver Unterstützung von Fox TV und ungeachtet des Protests nahezu aller Tageszeitungen zeigt die daraus resultierenden Einflussmöglichkeiten des Fernsehens.

Berlusconis Live-Flucht aus dem Studio

Bereits für Silvio Berlusconi gibt es jedoch widersprüchliche Erfahrungswerte. Der italienische Medienzar war nach allgemeiner Auffassung durch den Hurra-Journalismus seiner Fernsehkanäle an die Macht gekommen. Nun soll er durch die Live-Flucht aus dem Studio angesichts kritischer Fragen bzw. durch ein Diskussionsdebakel gegen den ansonsten langweiligen Redner Romano Prodi seine Wahlchancen verspielt haben. - Irgendetwas stimmt da nicht, weil der Mitte-rechts-Block bereits vor den missglückten Kameraauftritten des Ministerpräsidenten in den Umfragen zurück war. Nun wird der Rückstand eher kleiner, und als Einzelpartei behauptet sich Berlusconis Forza Italia auf dem ersten Platz.

Schröder redete Fernsehkampagne gegen SPD herbei

Die Reihe solcher Beispiele lässt sich fortsetzen. Gerhard Schröder wurde im Vorjahr nicht müde, eine Fernsehkampagne gegen die SPD herbeizureden. Gab es eine, hätte ihr Misserfolg kaum größer sein können: CDU und CSU als vermeintliche Nutznießer stürzten ab, und schrammten haarscharf am konservativen Super-GAU einer dritten Amtszeit für Schröder vorbei.

SPÖ klagt über Schwarzfunk

In Österreich klagen die Sozialdemokraten über die Instrumentalisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als Schwarzfunk. Wenn das stimmen sollte, stellen sich ÖVP und ORF nicht sehr geschickt an: Seit fast zwei Jahren liegt in sämtlichen Meinungsumfragen die SPÖ voran. Umgekehrt hat Alfred Gusenbauer 2002 das Fernsehduell der Spitzenkandidaten gegen Wolfgang Schüssel gewonnen, ohne dass seine Partei am Wahltag davon profitierte.

Küniglberg-Bashing

In Wahrheit wollte Schröder sich mithilfe seiner Medienschelte als Oppositionswahlkämpfer gebärden. Das Küniglberg-Bashing stellt für SPÖ-Sympathisanten gleichermaßen einen beachtlichen Mobilisierungsfaktor dar. Die subjektiv empfundene ORF-Ausgrenzung hat Hans-Peter Martin genauso wie Ernest Kaltenegger nicht geschadet, sondern deren Zeitungsimage als Anwalt der kleinen Leute verstärkt.

Müssen wir daher die These von der Dominanz des Fernsehens im politischen Wettbewerb infrage stellen? Die Bürger sind jedenfalls gegenüber der teledemokratischen Politikvermittlung resistenter als den Politikern lieb ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.3.2006)